TEXT: STEFANIE STADEL
Es dauert vielleicht ein, zwei Minuten. Länger braucht Brad Downey nicht, um seinen lustigen Nasenmann mit einem Stückchen Kreide an den Säulenschaft zu werfen, einfach so. Street Art wie sie leibt und lebt. Nach der Vollendung des Werks setzt der Künstler sich wieder hin. Kehrt zurück zum Fläschchen Rosé und zu den Kollegen, die am Eröffnungstag auf den Treppen vor dem pompösen Neo-Renaissance-Portikus in die Sonntags-Sonne blinzeln.
Während der zurückliegenden Tage waren sie heftig zugange – haben drinnen in der Kunsthalle ihre Riesenbilder an die Wand gebracht, alte Bretter und Latten im Raum montiert, Bauten aus Pappkartons errichtet. Auch Brad Downey, der sich vermeintlich subversiv an der kleinen Kaffeeküche des Ausstellungstrakts zu schaffen gemacht hat. Überall lauern Monitore und Downeys Nasenmänner – auf Zetteln an der Wand oder mit gestreifter Zahnpasta auf die Spüle geschmiert.
Fast alle Street-Artisten der Ausstellung sind eigens angereist – aus Berlin und Kopenhagen, London, Kentucky oder São Paolo –, um in der Von der Heydt-Kunsthalle zu arbeiten, ihre Werke eigens für die Schau dort zu schaffen. Victor Ash, Boxi, Ben Eine, Faith47, DAIM, Zezão und wie sie alle heißen. Größen einer Bewegung, die auf eine inzwischen 40 Jahre alte Geschichte zurückblickt. Und die mit Graffitis in den amerikanischen Großstädten der Ostküste ihren Anfang nahm und inzwischen, allen Widersprüchen zum Trotz, absolut salonfähig scheint.
Dafür gibt es allerlei Belege: Aachen stellte unlängst die einst illegal an Häuserwände gemalten Bilder der verstorbenen Graffiti-Größe Klaus Paier unter Denkmalschutz. Galerien und Museen feiern die Subkultur, neben Wuppertal zur Zeit das Museum of Contemporary Art in Los Angeles, wo man sich an einen groß angelegten Überblick wagt. Natürlich auch Auktionshäuser: Seit ein paar Jahren machen sie mit den Stars der Street-Art-Szene glänzende Geschäfte. Mit deren Leinwandbilder allerdings.
Einer, der recht früh dabei war, sich sammelnd und vermittelnd dem Thema angenommen hat, bevor der große Run losging, ist Rik Reinking. 1976 in Hamburg geboren, steht der schon in Jugendjahren als Kunstkäufer aktive Sammler, zumindest hierzulande, in der ersten Reihe, wenn es darum geht, die Kunst von der Straße ins Haus, sprich ins Museum zu holen.
Reinking kuratierte nun auch die Schau in Wuppertal – übrigens nicht die erste. Vor drei Jahren, als der Hype noch frischer war, hat er schon einmal eine Ausstellung hier organisiert. Damals wie heute und eigentlich immer – egal ob in Wuppertal, Kiel oder Osnabrück – machen solche Vorstöße auf institutionelles Terrain stutzig. Gehört zur Street Art nicht eigentlich das Spontane dazu? Das Unterwandernde? Die Nacht- und Nebelaktion? Was ist noch dran an dieser Kunst, wenn ihre Schöpfer im Auftrag, ganz offiziell, nicht im städtischen Drunter und Drüber, sondern in aller Ruhe unter hellem Neonlicht zu Werke gehen?
Victor Ash etwa – in der Ausstellung tobt er sich wandfüllend mit drei wilden Rodeoreitern aus. DAIM, der dort ein cooles Konstrukt aus kugelrunden Blasen, Pfeilen, Ecken, Kanten entwirft, das gleichsam aufzubrechen scheint. Oder direkt gegenüber, ganz in Grau, Boxi mit seiner monumentalen Caspar-David-Friedrich-Interpretation: Im Vordergrund als Rückenfigur steht da ein lebensgroßer Mann im Karo-Hemd am Ufer, mit Blick auf weites Gewässer und eine triste, kräftig qualmende Industrielandschaft am Horizont.
Originell auch Boris Hoppeck, der sich die vier Wände zum Arbeiten selbst gebaut hat, dazu Pappkartons wie große Ziegel aufeinander türmte. Die Außenwand ist mit dem stilisierten Kopf eines Schwarzen bemalt – ganz reduziert auf dicke Lippen und runde Augen. Drinnen in dem Papphaus begegnet man dem »negrito« wieder: Auf zwei Zielscheiben, die im Schutz der Pappwände mit Dart-Pfeilen zu beschießen sind.
Die Ironie gefällt, die politisch total inkorrekte Pfeilspitze bleibt hängen, doch Street Art im eigentlichen Sinne ist das nicht. Denn die Kunsthalle zeigt im musealen Gehege, was eigentlich nur in der urbanen Wildbahn authentisch wirkt. Und wenn man sich den Ausstellungstitel genauer anschaut, scheinen die Wuppertaler Macher dieses Dilemma durchaus erkannt zu haben. Auf Plakaten und rot-weiß geringelten Klebebändern ist der Titel-Schriftzug Street Art mit einem dicken Balken durchgestrichen, und oben rechts hochgestellt sitzt ein kleines TM – das Trademark-Zeichen. Street Art hier also als eine unter vielen Warenmarken.
Dennoch hat eine Schau wie die Wuppertaler wohl ihre Berechtigung. Vor allem als brandaktuelle Dokumentation einer Bildsprache, die sich auf der Straße ausgeprägt hat, die sich bis heute weiterentwickelt, an ihrem angestammten Schauplatz aber meist nur vorübergehend, aus dem Augenwinkel heraus oder im Vorbeirauschen wahrgenommen wird. Obwohl er die Werke und Künstler seiner Street-Art-Sammlung schon in so einige Museen geschleust hat, besteht Rik Reinking auch darauf, dass er noch nie eine Street-Art-Ausstellung gemacht habe. Und so bleibt denn wohl auch in Wuppertal jener spontan, ohne Auftrag gemalte Nasenmann am Säulenschaft das einzige wirkliche Street-Art-Werk. Fragt sich nur, wie lange die Kreide hält.
Von der Heydt-Kunsthalle / Haus der Jugend Barmen, Wuppertal; bis 25. September 2011; Tel. 0202/563-6571; www.von-der-heydt-kunsthalle.de