TEXT: GUIDO FISCHER
Zunächst zwei schlechte Nachrichten. Kostenloses Grillen beim Moers Festival war einmal. Ab sofort muss bis auf die Konzertbesucher jeder gemeine Camper erstmals eine sogenannte Infrastruktur-Gebühr ent-richten. Neben der Zeltplatzmiete im Schlosspark hat man dafür immerhin drei Duschgänge inklusive. Die eigentliche Hiobsbotschaft war bereits 2010 angedacht worden, als man sich angesichts der klammen Stadtkasse entschloss, das Jazz-Festival ausgerechnet ab seinem Jubiläumsjahr 2011 von vier auf drei Tage zu stutzen. Doch der seit 2006 als Künstlerische Leiter fungierende Reiner Michalke beweist, dass er auch auf Sparflamme immer noch was Feines zubereiten kann.
So hat er unter schwierigen Voraussetzungen für die 40. Ausgabe ein Pfingstprogramm konzipiert, das international erneut konkurrenzfähig ist. Alte Wegbegleiter des Festivals wie der südafrikanische Pianist Abdullah Ibrahim und Schlagzeuger Ronald Shannon Jackson wechseln sich mit Newcomern wie den amerikanischen Noise-Experten Orthrelm ab. Die japanische Zither-Paganina Michiyo Yagi und die kolumbianische Band La-33 sorgen für weltmusikalische Jazzüberschreitungen.
Aus Norwegen, Europas Jazzland Nr. 1, kommen zwei Formationen, die einen Spagat zwischen Attacke und Ambient hinlegen. Bearbeitet Stian Westerhus im Duo Monolithic seine Gitarre ohrendurchpustend, muss er sich in Nils Petter Molværs neuem Trio gehörig am Riemen reißen. Beim Trompeter Molvær herrscht nämlich zumeist Klangschonzeit. Mit seinem ätherisch-weiträumigen Ton misst er Soundregionen aus, in denen gelegentlich entspannende Zen-Ruhe herrscht. Oder er hängt sich an die rhythmischen Energiepartikel des Drum’n’Bass, um für etwas kultiviertes Club-Feeling zu sorgen.
Was aber Molvær auch in und zwischen den Klängen findet, bei ihm werden sie mit sanfter Hand solange verschoben, bis sich daraus anziehend magische Melodielinien bilden. Wie er selber gern zugibt, erhebt er auf diese Art der Entschleunigung kein Urheberpatent. Ent-scheidende Inspirationsquellen waren die Trompeter-Kollegen Miles Davis und Jon Hassell sowie der Pop-Ambient-Guru Brian Eno mit seinen meditativen Großraumbeschallungsmaßnahmen. Bis Molvær jedoch seinen ganz eigenen Zugriff auf die Wunderwelten mit ihren riesigen Echos, wuchtigen Beats und psychedelischen Farben hatte, musste er bis 1997 warten.
War er bis dahin ausschließlich als Sideman etwa in der norwegischen Band Masqualero aufgefallen, konnte er mit 37 Jahren seine erste CD einspielen. Aufgenommen wurde »Khmer« beim Münchner ECM-Label, das von jeher ein Faible für skandinavische Jazz-Sirenen wie Jan Garbarek und Sidsel Endresen hat. Erstaunlich war nicht nur, dass »Khmer« sich einhunderttausendmal verkaufte und mit dem Deutschen Schallplattenpreis ausgezeichnet wurde. Der elektro-akustische Sound machte als Filmmusik genauso Karriere wie in immer wieder neuem Klangstyling. Mit seinen Remixes fand sich Molvær in den oberen Rängen der Club-Charts wieder. Szene-Stars (Rockers Hi-Fi, Bill Laswell) zogen mit House-, Techno- und Dub-Reggae-Grooves eine Tanzfläche in den Molvær-Kosmos ein.
In Moers war Nils Petter Molvær bisher zwei Mal dabei. 1998 stellte er sich mit »Khmer« vor. 2006 öffnete er mit Laswell und Schlagzeuger Hamid Drake seinen Fusion-Zauberkasten. Jetzt will er mit Gitarrist Stian Westerhus sowie Drummer Erland Dahlen zeigen, warum sich Norweger gern mal mit Muße bewegen. Bekanntlich liegt auch darin ungemeine Kraft.
Das Festival findet statt vom 10. bis 12. Juni 2011; www.moers-festival.de