TEXT: STEFANIE STADEL
Es passiert nicht viel: Da wird schlicht ein Lichtpunkt an die Wand geworfen, der sich ganz langsam zur Kreislinie rundet. Doch ein bisschen Dunst in der Dunkelheit macht die einfache Projektion zum raumfüllenden Schauspiel. Von der Quelle durchs nebelige Nichts bis an die Wand wird der Weg des Lichtes sichtbar. Zuerst ist es nur eine dünne Linie, dann ein schmaler Strahl, der breiter wird und sich wölbt, schließlich der komplette Konus.
Lichtkunst, Filmkunst, Projektion, Installation oder Kino, das den Ausstellungssaal erobert? Irgendwo zwischen den Gattungen leuchtet Anthony McCalls wunderliches Schlüsselwerk »Line Describing a Cone« von 1973. Ein mustergültiges Beispiel für jenes Expanded Cinema, mit dem sich damals der Begriff und die Praxis des Filmischen in alle möglichen Richtungen ausbreiteten.
In Dortmund erleichtert McCalls Lichtlinie nun den Einstieg in ein Thema, das sich als ziemlich komplex und wenig konkret erweist: dem Verhältnis zwischen Film und zeitgenössischer Kunst.
Museumsdirektor Kurt Wettengl hatte sich diesen Gegenstand für die erste Wechselausstellung im Dortmunder U ausgedacht – wohl nicht zuletzt als eine Art Annährung an die wenig anheimelnde neue Bleibe. Die vielen Rolltreppen, die nicht gerade museale Architektur, das fehlende Tageslicht, all das macht seinem Institut dort zu schaffen. Hinzu kommt der bunte Mieter-Mix, inmitten dessen das Museum seinen Platz erst noch finden muss. Wettengl geht die Sache mit einer großen Umarmung an. Er suchte das Verbindende unter den neuen Nachbarn und fand es im bewegten Bild, das fortan – Etagen übergreifend – eine tragende Rolle spielen wird im U.
Seine Schau vergleicht Wettengl mit einer Klammer, die alle zusammenschließt: Das Museum Ostwall in der 4. und 5. Etage, den Hartware Medienkunstverein ein Stockwerk tiefer, das Kulturbüro der Stadt Dortmund auf der zweiten Ebene, Technische Universität und Fachhochschule Dortmund, die an diesem Standort ein »Forschungsinstitut zum Bewegten Bild« einrichten will. Ebenso das künftig auch als Kino genutzte RWE-Forum im Erdgeschoss. Und natürlich Adolf Winkelmanns Filminstallationen an den Innenwänden des U und oben im Turm.
Mit seiner Ausstellungsidee ging der Dortmunder Museumsmann kühn auf das renommierte, in Sachen Film führende Centre Pompidou in Paris zu und fand sofort Unterstützung – eine bessere Fundgrube hätte Wettengl kaum auftun können. Vor ein paar Jahren erst hatten die Pariser Kollegen mit Werken aus der eigenen reichen Sammlung daheim eine Ausstellung zum Thema Film und Kunst arrangiert.
Der Kurator von damals, Philippe-Alain Michaud, wirkte nun auch in Dortmund. Ausgehend vom Pariser Muster organisierte man den Parcours mit 65 Werken – Filme, Bilder, Objekte, Installationen – und richtete dabei das Augenmerk, anders als zuvor im Centre Pompidou, vor allem auf die Entwicklung der vergangenen rund 50 Jahre.
Die Künstlerliste glänzt durch Prominenz. Nam June Paik ist dabei mit seiner 1964 entstandenen Arbeit »Zen for Film«: Ratternd läuft ein unbelichteter Zelluloidstreifen durch den Projektor und wirft nichts als ein helles Rechteck an die Wand – mit der Zeit zunehmend gezeichnet von Staub und Kratzern. Bruce Nauman zeigt sich im Film barfuß balancierend auf einem am Boden bezeichneten Quadrat. Richard Serra fasst die eigene Hand ins Visier beim Versuch, hinabfallende Bleiblätter aufzufangen, um sie gleich darauf wieder loszulassen. Ed Ruscha erzählt von der Eintönigkeit amerikanischer Vorortstraßen: Er lichtet die Gebäude eins nach dem anderen ab und fügt die Bilder anschließend in langen Leporellos der Reihe nach zusammen.
All diese Werke sind in Dortmund nicht Teil einer stringenten Argumentation. Sie sollen auch keine Entwicklung nachzeichnen. Auf dem kleinteiligen, nicht chronologisch geordneten, sondern in 15 verschiedene Kapitel zergliederten Rundgang finden sie sich Stichwörtern wie »Schnitt«, »Montage«, »Maschine«, »Kamerafahrt« zugeordnet, die meist recht sachlich klingen, aber manchmal viel Raum für eher intuitive Gedankenspiele bieten.
Bei McCall, der mit seinem Lichtstrahl im Nebel das »Grundlagen«-Kapitel beleuchtet, scheint alles noch klar. Doch schon wenn es um die »Projektionsfläche« geht, könnte man ins Schwimmen geraten. Zum Beispiel auf Wolfgang Laibs »Milchstein«: Eine Marmorplatte mit leicht erhöhten Rändern, die allmorgendlich mit Milch begossen und jeden Abend geleert, dann gereinigt wird. Was hat das mit Film zu tun? Der Katalog klärt auf, indem er auf die Verbindung zwischen der Platte voll Milch und einem Bildschirm hinweist und bemerkt, dass sich nach einigen Stunden oben auf der weißen Pfütze ein tatsächlicher (Milch)-»Film« bildet.
Hatte Laib wohl an eine »Projektionsfläche« gedacht, als er die Milch auf den Stein goss? Beeinflusst das Kino unsere Wahrnehmung seines »Milchsteins«? Oder ist es vielleicht bloß der Kurator, der – nah am Kalauer – die Verbindung konstruiert? Ähnliche Fragen stellt man sich hier und da auf dem Dortmunder Parcours.
Um ein paar Ecken gebaut sind die Brücken zum bewegten Bild auch bei Donald Judd, der gleichförmige Quader wie dicke Regalbretter übereinander an die Wand bringt und sich mit diesem »Stack« genannten Werk im Ausstellungsabschnitt »Bildlauf« wiederfindet. Oder bei Roy Lichtenstein, der in seinem »Painting with Four Panels« Kreisformen zeigt, die – Zahnrädern ähnlich – ineinander greifen. Nicht zuletzt durch die Wiederholung des Motivs, die an einen Filmstreifen denken lassen könnte, wird hier Dynamik angedeutet.
Die Schau hat sich einiges vorgenommen: Sie soll neue Antworten auf die Frage nach der musealen Ausstellung des Films und seiner Erhebung zum Kunstwerk geben. Sie will zeigen, wie die statischen Künste – Bilder, Skulpturen, Objekte – Mittel und Möglichkeiten des Filmes nutzen und wie die zeitgenössische Kunstproduktion sich der Figuren oder Erzählungen des Films bemächtigt. Robert Longo liefert hier ein treffendes Beispiel mit seinen berühmten »Men in the Cities«: Inspiriert von Fassbinders »Der amerikanische Soldat«, bat der Künstler Freunde auf das Dach seines Lofts. Dort »beschoss« er sie etwa mit Tennisbällen und hielt den Fall der »Gangster« in Fotos fest, die er als Vorlagen für die lebensgroßen Zeichnungen benutzte.
Ein weiteres wichtiges Ziel der Schau ist es, klar zu machen, wie sehr der Film unsere Erfahrung der statischen Kunstwerke und des Museums an sich beeinflusst, ja unumkehrbar konditioniert habe. Die Kuratoren wollen mit ihrem Konzept, wie es im Katalog heißt, eine ganz neue Interpretation zeitgenössischer Kunst aus dem Blickwinkel des Kinos eröffnen. Ein Anspruch, der erstens unerfüllt bleibt und zweitens weit übers Ziel hinausschießt. Denn eine »ganz neue Interpretation« der Kunst aus dem Geiste des Kinos würde dem bewegten Bild denn wohl doch zu große Bedeutung beimessen.
Ganz sicher kann die Ausstellung spannende Bezüge andeuten, zeitgenössische Kunst aus einer wenig geläufigen Perspektive beleuchten. Und das genügt auch. Trotz einzelner Schwächen sorgt sie alles in allem für einen inspirierenden Ostwall-Einstand im 6. Stockwerk, das sich die U-Bewohner künftig für wechselnde Ausstellungen teilen. Das Museum wird sich nach dem Ende der Schau im April erst einmal von dort oben zurückziehen. Für 2011 sind keine größeren Wechselausstellungen mehr geplant, das Geld reicht nicht. Die spärliche personelle und finanzielle Ausstattung seines Instituts ist das Problem, das Wettengl im U wohl am wenigsten in Bewegung wird bringen können …
Museum Ostwall im Dortmunder U. »Bild für Bild – Film und zeitgenössische Kunst« bis zum 20. April 2011. Tel.: 0231/50 23 247.