»Das ist kulturelle Nachhaltigkeit, die uns niemand nehmen kann«, sagt der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau trotzig und meint das Dortmunder »Zentrum für Kunst und Kreativität«, vulgo das Dortmunder U. Grad so, als hätte irgendeine Bürgerbewegung aus Stuttgart oder einer der zahlreichen konkurrierenden Akteure im Ruhrgebiet ihm seinen Turm-Umbau auf den letzten Metern noch kaputtmachen können.
Aber was die Probleme mit dem U betrifft, liegen Sieraus Nerven irgendwie blank. Er reagiert gereizt, wenn immer wieder diese Nachfragen nach dem Bauzustand, den klimatischen Bedingungen und dem sonstigen Schutz der Kunstwerke kommen, die jetzt trotz aller Bedenken auch von Fachleuten ins U migriert sind: die Werke des Kunstmuseums der Stadt Dortmund. Denn seit dem 8. Oktober residiert das Museum am Ostwall auf den Stockwerken 4 und 5 des ehemaligen Kellereihochhauses der Union-Brauerei – wobei es beim Umzug von der Straße, die ihm seinen Namen gab, die Präposition verloren hat und jetzt nur noch »Museum Ostwall« heißt. Mit dem Zusatz: »im Dortmunder U«.
Dass dieser Umzug unbedingt noch im Kulturhauptstadtjahr über die Bühne, sprich zur Not auch durch und in die Baustelle gehen sollte, ist den zur Eröffnung publizierten Papieren und gehaltenen Reden deutlich zu entnehmen. Der Oktober-Termin, ohnehin ein verspäteter, musste zwingend gehalten werden, selbst gegen das Votum des Museumsdirektors, Kurt Wettengl (s. K.WEST 10.2010). Normalerweise muss erst das Raumklima eines Museums stabilisiert, vor allem aber der Baustaub beseitigt sein, bevor hochempfindliche Kunstwerke hinein kommen. Beides ist beim Eröffnungstermin mitnichten der Fall: Im ganzen riesigen Gebäude wird noch bis Mitte 2011 gesägt, geklebt, gehämmert und gebohrt werden. Grauer Staub überall.
In einem hat OB Sierau allerdings recht: Nach einiger Zeit wird von den Bau- und Einzugsquerelen nicht mehr die Rede sein. Aber wird das U ein solcher Bombenerfolg werden, wie er es prognostiziert? Das U als Zentrum, das auch »Leute aus Berlin anzieht«?
Ein Strom von Kreativen aus der Hauptstadt wäre Dortmund und dem Ruhrgebiet von Herzen zu wünschen, aber man muss schon trunken sein zu glauben, dass die frühere Brauerei zur Hefe eines schäumenden Dortmunder Prenzlberg-Wunders werden wird. Zunächst einmal gilt es, die Frage zu beantworten, ob das Dortmunder Ostwall-Museum mit seinem Umzug auf Ebene 4 nun ein paar Etagen hinaufgefallen ist. Oder nicht.
In der früheren Oberbergamtsvilla am Ostwall konnte das Museum Ausstellungsflächen von etwa 1.600 Quadratmetern bespielen; im U sind es gut 100 mehr. Am Ostwall besaß das Institut einen leidlich repräsentativen Bau mit größeren und kleineren Räumen; hier im U sind sämtliche Räume klein, allerdings kann das Museum die über ihm liegende 6. Etage benutzen, auf der sich zwei Wechselausstellungssäle von je 450 Quadratmetern befinden. Dieser Doppelsaal ist jedoch nicht mit dem Museum Ostwall verbunden und wird auch von den anderen Mietern des U bespielt: dem Hartware Medienkunstverein (3. Stock), dem Zentrum für interkulturelle Bildung der Stadt Dortmund (2. Stock), den Außeninstituten von TU und FH (1. Stock), dem RWE Forum (Erdgeschoss). Ursprünglich sollte das Museum das U allein bekommen; und auch wenn es jetzt die meisten Etagen füllt (die Museumspädagogik wird in der 2. Etage, das Depot im Keller Platz finden) – es ist ein Mieter unter mehreren. Ist als Kunstmuseum Teil eines Kreativwirtschaftsquartiers. Liegt versteckt, zumindest eingebettet in einem Gebäude, das sein eigenes Gesicht und seinen eigenen Namen trägt.
Es braucht eine Weile, bis man sich über auf jeder Ebene wechselnde Rolltreppen bis in die 4. Etage hinaufgearbeitet hat. Allerdings ist der Aufstieg faszinierend, kann man sich doch dabei in die wundersame Film-Installation des Regisseurs Adolf Winkelmann versenken (s. K.WEST 05.2010). Oben versteckt sich der Ostwall-Zugang in der hintersten (südöstlichen) Ecke des – »Kunstvertikale« genannten – Rolltreppentrakts und bietet auch nur eine schmale Tür. Jedes Entree einer Krankenkasse gibt sich repräsentativer. Drinnen öffnet sich ein zirka zwölf Meter hoher, aber nicht großzügig wirkender Raum, der über beide Museumsetagen reicht; in ihm führt eine gewinkelte Treppe ins höhere Geschoss. Durch dieses Foyer wollten die Architekten (Gerber, Dortmund) die Verklammerung der beiden Etagen zu einer Einheit sichtbar machen. Was allerdings (etwa durch eine repräsentative Treppe) weitaus besser hätte gelingen können.
Die Etagen 4 und 5 sind ausschließlich der Präsentation der Sammlung vorbehalten; sie gliedern sich in eher kleine bis kleinste Räume, verbunden und durchkreuzt von dito schmalen Gängen und Korridoren. Der Zuschnitt der Räume habe sich am Charakter der Sammlungsstücke orientiert, die eben eher kleinformatig seien – so erklärt es Kurt Wettengl. Aber es habe auch Rücksicht auf das Raster der massiven Betonstützen genommen werden müssen, die nun durch voluminöse, nicht tragende, aber auch nicht variable Wände umkleidet sind. Diese reichen nur bis in 4,50 Meter Höhe und geben so den Blick auf die Deckenkonstruktion mit ihren kassettenförmigen Unterzügen frei. Alle ist fensterlos, alles ist weiß; der Boden besteht aus anthrazitfarbenem Terrazzo-Material. Wer den letzten Museumsbau im Ruhrgebiet in Erinnerung hat, das Museum Folkwang in Essen, kann ob dieser Gedrückt- und Gedrängheit nur enttäuscht sein. Zumal der Chipperfield-Bau mit seinen 55 Millionen Euro kaum mehr gekostet hat als der Umbau des U.
In den Kammern und Kojen selbst ist die Stimmung angenehm sammelnd; das Konzept sieht vor, dass hier die Kunstwerke ungestört von jeder Einordnung für sich stehen. In den Gängen hingegen finden sich in Wandvitrinen oder interaktiven Medienstationen Erläuterungen zum historischen Kontext. Etwa 350 Ausstellungsstücke sind auf diese Weise aufgebaut, auf Etage 4 nach Epochen oder Strömungen geordnet (Zero, Informel, Expressionismus usw.), auf Etage 5 nach Künstlern (Joseph Beuys, Wolf Vostell, Dieter Roth, Anna & Bernhard Blume, Mark Dion usw.). Die thematische Klammer bildet Fluxus: Diese Bewegung der 1960er und 70er Jahre ist mit Arbeiten von Nam June Paik, Daniel Spoerri, Alison Knowles oder Robert Filliou gleich im ersten Raum gut vertreten und wird im oberen Stockwerk fortgesetzt. Dort befindet sich auch die begehbare Installation »Thermoelektrisches Kaugummi« von Wolf Vostell, die mit ihren Stacheldrahtzäunen und dem Boden voller Besteck, das unter den Sohlen knirscht, auf beklemmende Weise KZ-Gräuel erfahrbar macht.
Zweifellos ist die Neupräsentation der Sammlung ein Gewinn; doch nicht aufregender neuer Räumlichkeiten wegen, sondern weil sie eben neu und frisch gezeigt wird. Einmal im Jahr will Wettengl künftig umgruppieren, Stücke aus dem Depot heraufholen, andere hinunter geben. Ob eine solche Rochade dauerhaft Publikum ziehen wird, sei dahingestellt – »ein Event-Museum sind wir sicher nicht«, sagt der Direktor. Für große Ausstellungen aber fehlt bislang das Geld; die Auslagerung der Betriebs- und Ausstellungskosten (5 bis 6 Millionen Euro jährlich) auf eine noch zu gründende Stiftung, die mit Hilfe von Unternehmen baldmöglichst ins Leben gerufen werden soll, kann hier vielleicht Luft verschaffen.
Wettengl wünscht sich möglichst viel tätige Teilnahme seines Publikums und hat dafür schon ein »interaktives Fotoarchiv« eingerichtet. Schon die Eingangs-Installation soll dieses Konzept der Offenheit dokumentieren: etwa 500 sich die Wand hoch stapelnde Fotos aus dem fast zehnmal so umfangreichen Projekt »Das Geschenk« von Jochen Gerz, etwa Gesichter von Besuchern einer Ausstellung in Dortmund 2000. Die Arbeit zeige, sagt OB Sierau, »dass Museum richtig Spaß machen kann«.
Wichtiger allerdings ist, ob »Museum« sich als Reinheitsgebotsbewahrer von Kunst im Gebräu des U behaupten kann.
Museum Ostwall im Dortmunder U, Leonie-Reygers-Terrasse, (Rheinische Straße/Brinkhoffstraße). Tel.: 0231/50-23247. www.museumostwall.dortmund.de