TEXT: STEFANIE STADEL
FOTOS: MARKUS J. FEGER
Keine Zeit für überflüssige Verbindlichkeiten. Schon beim Händeschütteln macht Katharina Grosse klar, dass sie nicht zur gemütlichen Sorte zählt. »Wollen wir anfangen?« So drängt sie freundlich, aber bestimmt zur Arbeit und weist auf den Stuhl ganz hinten am großen Tisch.
Grosse kennt sich aus am Eiskellerberg – sie hat lange an der Düsseldorfer Akademie studiert. Inzwischen ist sie dem Tross gefolgt, hat ihr Standbein vom Rhein abgezogen und sich fest in Berlin etabliert. Doch wird sie demnächst wieder öfters hier zu sehen sein. Denn die Künstlerin zählt zu der hoffnungsvollen Professoren-Riege, die Tony Cragg als neuer Direktor an sein Haus lockte. Im kommenden Semester übernimmt die Endvierzigerin ihre Malereiklasse. Ein Büro hat die neue Frau im Kollegium zwar noch nicht, doch konnte Grosses Assistentin den schmucklosen Konferenzraum gleich hinter der Pforte für das Treffen buchen.
Grosse hat nur ein einziges Glas gefunden – das steht schon gefüllt am Platz. Daneben hat die Künstlerin Handy, Schlüssel und die retro-modisch große Sonnenbrille abgelegt. Eines jener überraschend extravaganten Details, die das ansonsten überaus schlichte Outfit der ungeschminkten Kurzhaar-Blondine aufpeppen. Zwei weitere trägt sie an den Füßen: Klassisch geschnittene Schnürschuhe im silbrig-glänzenden Glamour-Look.
Vor vielen Jahren betrat Grosse internationales Kunstparkett. Mit der Airbrush-Pistole im Anschlag hat sie sich seit den späten 90ern den Weg gebahnt und ihre singuläre Position dort bis heute behauptet. Das atmosphärische Farbgewölk aus Grosses Spritze verwandelte Museumssäle rund um die Welt in furiose Farbraumhöhlen – irgendwo zwischen zauberhaft schwebenden Nebeln und knalligen Spray-Attacken anonymer Graffitikunst.
Grosse ist Malerin durch und durch, doch hat es einige Zeit gedauert, bis sie sich ganz auf das Medium einließ. Anfangs gab es sehr wohl Zweifel, angeheizt von den Kommilitonen, die der klassischen Disziplin keine Zukunft zutrauten. Grosse, die erst in Münster bei Norbert Tadeusz studiert hatte, wechselte zu Gotthard Graubner an die Düsseldorfer Akademie, als unter dem Ehepaar Becher die Fotografie dort ganz hoch im Kurs stand. Ein Umfeld, in dem sich die Malerin ständig in Frage gestellt sah. Die Studentin experimentierte vorübergehend mit Foto, auch mit Video, entschloss sich aber dann doch, kompromisslos zur Malerei zurückzukehren. Und schaut man sich an, wie ihre Geschichte weitergeht, kann man wohl sagen, dass Graubner und seine kissenartigen »Farbraumkörper« damals einigen Eindruck auf sie gemacht haben müssen.
»Stimmt, da gibt es überraschende Verbindungen«: Grosse lächelt, nickt und nimmt das Thema Graubner zum Anlass, den Umgang mit der Tradition als wichtige Wurzel der eigenen Arbeit freizulegen. Die Künstlerin erzählt von ihrer Jugend im Ruhrgebiet und von der frühen Begegnung mit dem deutschen Informel. Gräbt sich dann weiter vor bis in die italienische Renaissance: Das kurz nach dem Studium ergatterte Villa-Romana-Stipendium brachte sie 1992 nach Florenz. Fast täglich habe sie sich die alten Kirchen mit ihren Fresken angeschaut, die Renaissance-Werke bald fast wie zeitgenössische wahrgenommen.
Fasziniert vom Miteinander, das Architektur und Malerei dort eingehen, sei sie fortan mit dem Plan umgegangen, vielleicht doch irgendwann einmal ein Wandbild zu machen. »Das war mein Ziel.« Bald wagt sie den Schritt: Vom monochromen Großformat zur Malerei direkt auf die Wand. Im Treppenhaus eines Weseler Bürogebäudes geht Katharina Grosse 1995 ans Werk. Damals noch mit Pinsel und Silikatfarbe in geordneten, klar begrenzten Farbbahnen – gelb, blau, orange. Sehr bald wird ihr aber klar, wie sehr Hindernisse und Grenzen diese Art von Malerei hemmen. »Ein Rohr kommt einem in die Quere, und irgendwo ist die Wand natürlich auch zu Ende.«
Katharina Grosse: o.T., 2010 (Simulation Projekt KunstmuseumBonn). Abb.: Studio Katharina Grosse
Die Lösung lag im planlos, doch niemals unkontrolliert gesprühten Farbdunst, der alle Widerstände überwindet, indem er die Hürden einfach einhüllt. Ecken und Stützen, Fenster, Türen und Steckdosen schlicht verschluckt. Vor dem Glücksgriff nach der Spritzpistole hat sie lange gezögert. Das lästige Drumherum mit Maske und Maschine verleidet Grosse die ersten Versuche. Nach eingehender Beratung findet sie aber ein akzeptables Equipment: Kompressorbetriebene Airbrush-Pistolen, die man für gewöhnlich benutzt, um Autos und Schiffe zu lackieren – »Industriewerkzeuge, mit denen ganz toll zu arbeiten ist.«
Mit artifizieller Palette und expansiver Geste bemächtigt sie sich nun des Raums. Auch übers eigene Schlafzimmer macht sie sich her. Übersprüht das Bett samt Plumeau und spürt dabei, wie sie mit ihren farbigen Schleiern auch die natürlichen Grenzen der Objekte aufheben kann. Neben diversen Möbelstücken erprobt Grosse ihre Eroberungstaktik danach erfolgreich auf Bücherstapeln, Textilien oder eigens angehäuften Schutt- und Erdhügeln.
Das Geschäft brummt. Auch aktuell scheinen Grosses Auftragsbücher prall gefüllt. Eine große Schau in Massachusetts steht an – die Künstlerin plant eine Erdarbeit, in die unterschiedliche plastische Elemente und gewölbte Flächen integriert sind. Dazu sind drei größere Projekte fürs Rheinland in Vorbereitung. Köln beauftragte Grosse, eine U-Bahn Station farbig zu verschönern; allerdings wird sich die Sache noch ein wenig hinziehen. Viel näher liegt Grosses Auftritt in Düsseldorf. Zur Quadriennale montiert die Künstlerin Mitte September eine besprühte Ellipse außen an der Johanneskirche. Der außergewöhnliche Schauplatz ist neu. Das spektakuläre Ausstellungsstück leider nicht – es feierte schon vor gut einem Jahr Premiere in Berlin, wo der an die acht Meter hohe und rund zwölf Meter lange Hartschaumkoloss zusammen mit drei Werken gleicher Machart an den Wänden der Temporären Kunsthalle lehnte und Grosses plastische Ambitionen untermauerte. Statt der für die Künstlerin so typischen berauschenden Farbraumwunder auf Zeit hier nun also ein transportables, dadurch auch marktgängiges Objekt, dessen Präsentation mal hier und mal dort den Verdacht von Beliebigkeit aufkommen lässt.
Ein vergleichbares Objekt ist für Bonn avisiert. Nur noch größer, in der Wirkung wohl radikaler und diesmal glücklicherweise wieder dezidiert auf den Ort zugeschnitten: Grosses 20 Meter lange »Farbscherbe« aus Fiberglas wird ab kommenden Frühjahr im Durchgangs-Hof zwischen Ausstellungsbau und Verwaltungstrakt des Bonner Kunstmuseums Eindruck machen.
Die Künstlerin malt allein, und die riesigen Farbformen oder -räume verlangen ihr Einiges ab. Im Internet kursieren Filme, die ein astronautenähnliches Wesen bei der Arbeit zeigen, manchmal auf der Hebebühne: weißer Ganzkörperanzug, Schutzbrille vorm Gesicht und in der Hand eine Farbpistole, die aus großen Flaschen ständig neu befüllt wird. Im Hintergrund das Dröhnen des Kompressors.
Grosse kennt diese Aufnahmen und weiß auch, dass einige Fakes darunter sind. Gelegentlich stünden Doubles vor der Kamera. Vielleicht eine Verlegenheitslösung? Zeigt sich doch die Malerin eher ungern in Aktion. Am liebsten zieht sie sich zum Arbeiten hinter verschlossene Türen zurück. Auch dem Fotoapparat begegnet Grosse mit Vorbehalt. Es sei nicht ihr Job, auch nicht ihre Begabung, sich in Szene zu setzen, sagt sie und gesteht gar eine gewisse Scheu ein. Was einen zunächst wundern könnte angesichts von Grosses ansonsten doch so eloquenter, sicherer, ja professioneller Außenwirkung.
Wer die Künstlerin einmal anders erleben will, der muss sie wohl fern der Arbeit kennenlernen. »Wenn ich zu Hause bin, reden wir eigentlich die ganze Zeit nur Unsinn«, versichert sie. Beim Sprechen über die eigene Kunst erlaubt sie sich dagegen keine Ungenauigkeiten, keine Abschweifungen, auch keine Ironie.
Grosse bringt das gedankliche Gerüst ihrer wabernden Farbnebel gestochen scharf auf den Punkt. Vielleicht eine Art Strategie, die sie sich antrainiert hat? Anfangs sei sie lockerer an die Sache herangegangen. Doch müsse man vorsichtig sein, besonders als Frau. Die Folge ihrer Späße sei gewesen, dass man sie mit ihrer Malerei noch weniger ernst genommen, ihr jegliches Konzept, alles Intellektuelle abgesprochen habe. Nach dem Motto: »Alles so schön bunt, emotional und spontan«.
Mit diesem Stichwort leitet Grosse einen Exkurs zum Begriff der Spontaneität ein, der sie unversehens zu Thomas Müller führt. Nein, Müller ist kein Verhaltensforscher, auch kein Künstler. Grosse meint Fußballnationalspieler Thomas Müller, den sie für seine nur »spontan« wirkenden, jedoch immer genau überlegten Schachzüge auf dem Spielfeld bewundert und dabei offenbar Verbindungen zur eigenen Malerei im Sinn hat.
Im Übrigen hat auch Katharina Grosse als Kind unheimlich gern Fußball gespielt. Bis dann ihre Mutter, selbst Künstlerin, kam, ihr den Pinsel in die Hand gab und sie mitnahm zu einer Malerei-Exkursion in die Landschaft. »Da saß ich dann täglich acht Stunden im Feld und malte nichts als Natur«, schwärmt die Tochter. »Eine tolle Erfahrung.« Und der Beginn einer großen Karriere. Heute sprüht sich Grosse ihre eigenen Farblandschaften – man muss nichts als eintauchen und sich überwältigen lassen. Malerei ohne Grenzen.
Katharina Grosse: EllipseAußenprojekt der Kunsthalle Düsseldorf im Rahmen der Quadriennale 2010. 11. Sept. 2010 bis 16. Januar 2011. www.kunsthalle-duesseldorf.de + www.quadriennale-duesseldorf.de