TEXT: ANDREJ KLAHN
Cormac McCarthy wünschte ihm mehr Leser, Tennessee Williams und Kurt Vonnegut gehörten zu seinen Lobrednern, Raymond Carver und Richard Ford zeigten sich von ihm beeinflusst. Und doch, so stellte der amerikanische Schriftsteller Steward O’Nan vor gut zehn Jahren ratlos fest, sei der 1992 verstorbene Richard Yates’ ein »writer’s writer« geblieben. Ein Autor also, der von den Kollegen geschätzt wird, dessen Bücher aber in den Regalen der Buchhandlungen anstauben, wenn sie dort überhaupt zu finden sind. Doch was nützt es, wenn »writers« das Werk eines »writer’s writer« preisen?
Hilfreicher ist da schon, dass Sam Mendes Yates’ 1961 erschienenen Roman »Revolutionary Road« vor zwei Jahren mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio in den Hauptrollen verfilmt hat. So musste die Wiederentdeckung des 1926 in Yonkers, New York, geborenen Yates erst den Umweg über das Kino nehmen, damit er nun also endlich auch außerhalb der kleinen Fan-Gemeinde als Klassiker der Moderne gelesen wird, deren raffinierten Erzählstrategien er allerdings nichts abgewinnen konnte. Yates ist ein uramerikanischer Autor, ein Tragöde des trostlos durchschnittlichen Vorstadtlebens. Und ein Mann, der das Scheitern aus eigener Erfahrung kennt und es in seiner Prosa erbarmungslos distanziert in großartig deprimierende Kunst verwandelt hat. So auch in seinem dritten Roman »Disturbing the Peace«, den die Deutsche Verlags-Anstalt, die sich lange schon um Yates’ Werk bemüht, nun als »Ruhestörung« erstmals auf Deutsch vorlegt.
John Wilders Existenz scheint leidlich geordnet und verläuft in vorgezeichneten Bahnen. Die Wohnung mit fernem Blick auf Midtown Manhattan ist nicht luxuriös, aber hell, das Zusammensein mit seiner Frau ist nicht leidenschaftlich, aber gemütlich, wozu auch zählt, dass sie sich mit den außerehelichen Aktivitäten des Mittdreißigers arrangiert hat. Doch nachdem John sie in Kenntnis darüber gesetzt hat, dass er soeben auf einer Dienstreise in Chicago eine PR-Dame »fünfmal gevögelt« habe und nicht nach Hause komme, weil er Angst habe, sie und den 10-jährigen Sohn Tommy umzubringen, findet sich der Anzeigenverkäufer des American Scientist in der geschlossenen Station des New Yorker Hospitals Bellevue wieder. Ein Nervenzusammenbruch, heißt es. Diese Krise aber ist lediglich ein erstes Symptom, Beginn eines rasanten Absturzes, dessen Verlauf mit geradezu antiker Unvermeidlichkeit vorgezeichnet scheint. Denn Yates’ großes Können besteht nicht zuletzt darin, seinen Geschichten das bittere Ende unaufdringlich und stilistisch überaus unprätentiös von Beginn an einzuschreiben. Es ist die Lust am Schiffbruch, die den Yates’ Leser bei der Sache bleiben lässt. Und die Ahnung, dass der feste Boden des Ufers, von dem aus er zuschaut, brüchig ist.
John Wilder also wird sich zugrunde richten. Vordergründig geht er an einer Kombination aus Alkohol und Medikamenten kaputt. Tatsächlich aber leidet er – wie so viele andere Figuren in den Geschichten Richard Yates’ auch – am amerikanischen Traum: am Glauben, dass die eigenen Möglichkeiten unbegrenzt sind, dass er es schaffen kann und muss, und dass er für Größeres vorherbestimmt ist als für eine öde Suburbia-Existenz. Und so macht sich Wilder nach »verschwendeten Jahren« zusammen mit Pam, einer jungen Schönheit, deren Vater er fast sein könnte, auf, um Hollywood zu erobern. Seine eigene Story möchte er dort verfilmt sehen, die eines Mannes, der sich selbst zerstört. Doch mit einer Figur, »die aus lächerlichem, billigen Weltschmerz heraus abstürzt«, käme man nicht weiter, gibt ihm der Produzent Bescheid. Zu klischeehaft sei die Geschichte.
Holzschnittartigkeit haben Kritiker auch an »Disturbing the Peace« bemängelt, als der Roman nach langen Jahren des Wartens 1975 erschien. Heute gilt er als eher schwächeres Werk Yates’. Doch was heißt das schon. Denn auch mit »Ruhestörung« gelingt es ihm meisterhaft, dem »lächerlichen, billigen Weltschmerz« der Mittelstandsgesellschaft literarische Gültigkeit zu verleihen.
Richard Yates, »Ruhestörung«, aus dem Englischen von Anette Grube. DVA, München 2010, 315 S., 19,95 Euro