Es gibt eine Menge Leute, die Ayn Rand nicht mögen. Darunter die Simpsons. »The Fountainhead,« sagt Lisa zu Agnes Skinner, die Rands Buch in der Hand hält, »ist das nicht die Bibel politisch rechter Loser?« Antwort: »Ja, aber der Typ auf dem Umschlag ist scharf.« Zu sehen ist – man ahnt es – die Autorin. In einer anderen Folge landet Maggie, das Baby der Familie Simpson, in der »Ayn Rand School for Tots«, einer elitären Krabbelgruppe, die von einer diktatorischen Kindergärtnerin geleitet wird.
Simpsons-Parodie hin oder her, in den USA erfreuen sich Rands Bücher – vor allem »The Fountainhead« (dt. »Der ewige Quell«), »Anthem« (»Hymne«) und ihr Opus magnum »Atlas Shrugged« (»Atlas wirft die Welt ab«) – enormer Popularität. Anfang 2009 lag das mit 1100 Seiten nicht gerade einsteigerfreundliche »Atlas Shrugged« in der Bestsellerliste von Amazon auf dem 33. Platz. 2009 verkaufte sich das 53 Jahre alte Buch immer noch 500.000 Mal.
»Atlas Shrugged« handelt von einer Gruppe mächtiger Industrieller, Wissenschaftler und Intellektueller, die sich in die Berge von Colorado zurückziehen, um dort eine geheime Freigeistkolonie zu gründen. Währenddessen degeneriert der Rest der USA zu einer quasi-sozialistischen Diktatur. Stark vereinfacht, lautet Rands Botschaft: Wenn Staat, »Unproduktive« und Neider sie ausplündern, dann bleibt den Leistungsträgern der Gesellschaft nichts anderes, als zu streiken. Infolgedessen fällt die Wirtschaft der Vereinigten Staaten im Buch auseinander.
Mittlerweile hat es der Roman in die digitale Welt geschafft – genauer gesagt, in die Welt von »Bioshock«. Das preisgekrönte Video-Spiel ist zwar keine direkte Romanadaption, bedient sich aber ausgiebig bei Rand. Die Macher des Spiels verlegen die nietzscheanische Übermenschen-Kolonie allerdings von den Bergen in die Tiefe, d.h. auf den Meeresboden. Das neue Atlantis, eine überkuppelte Stadt namens Rapture, wurde im Spiel vom superreichen Exzentriker Andrew Ryan (unschwer als Anagramm von Ayn Rand zu erkennen) entworfen und gebaut. Anders als in »Atlas Shrugged« ist die Kolonie in »Bioshock« kein utopischer Ort. Im Gegenteil. Rapture ist eine kranke Welt voller grässlicher Mutanten und egomaner Bösewichte. Irgendetwas ist schiefgegangen seit der Gründung der Stadt vor 40 Jahren. Was genau, muss der Spieler erkunden.
Es wäre übertrieben zu behaupten, dass »Bioshock« Rands komplexe und kontroverse Ideen wirklich verarbeitet. Letztendlich ist das Spiel bei aller visuellen Brillanz eigentlich ein recht konventioneller »Shooter.« Andererseits bricht es mit dem Klischee, dass Videospielentwickler sich bestenfalls mit der Historie von Star-Wars-Filmen auskennen. Neben den Anspielungen auf Rands Buch vermitteln vor allem die grandiosen Art-Déco- und Jugendstilkulissen eine gute Kenntnis der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. In den besten Momenten kommt es einem vor, als ballerte man sich geradewegs durchs New Yorker Chrysler Building oder die Darmstädter Mathildenhöhe. Wer die handelsübliche Action-Ware kennt, weiß, dass das nicht die üblichen Schauplätze sind.
Das Spiel ist kein Einzelfall. Drei Blockbuster des Jahres 2010 (allesamt millionenteure Produktionen) haben literarische Vorlagen. Während »Bioshock« auf einem modernen Klassiker basiert, greift das Spiel »Inferno« auf einen mittelalterlichen zurück – Dantes gleichnamigen Verszyklus aus der »Göttlichen Komödie.« Das Spiel bildet die neun Kreise der Hölle ab, gesteuert wird niemand anderes als Dante selbst. In der Software-Inkarnation ist er allerdings kein Dichter, sondern ein Kreuzzügler. Und im Gegensatz zur Vorlage geht es im Spiel nicht primär um Dantes Seelenheil, sondern um das seiner Geliebten, die von Luzifer in die Hölle entführt wurde. Auf dem Weg zu ihrer Rettung prügelt, sticht und schlitzt sich der Spieler durch verstörende Horrorkulissen, die eines Hieronymus Bosch würdig wären. Ähnlich wie »Bioshock« lebt auch »Dante’s Inferno« vor allem von seiner grafischen Umsetzung. Dass das Ganze nur in Gewalt verpufft, stimmt allerdings nicht. Immerhin begegnet man auch im Spiel einer Mischung aus historischen und mythischen Figuren von Vergil über Charon bis hin zu Mark Anton und nimmt so, zumindest im Vorbeiprügeln, ein bisschen Geschichte mit.
In die Zukunft geht es im dritten Spiel mit literarischer Vorlage: »Metro 2033«. Der Schauplatz ist Moskau. Die Stadt ist durch einen Atomkrieg verwüstet, die Überlebenden hausen in den Katakomben der U-Bahn. Das Szenario stammt vom Autor Dimitrij Gluchowskij, der mit »Metro 2033« in Russland einen Bestseller landete. Dem düsteren Szenario zum Trotz kommt direkte Gewalt im Buch eher selten vor. Im Spiel dagegen sollte man keinen body count starten, immerhin ist das Ganze ein Actionspiel.
Anders als bei »Bioshock« und »Dante’s Inferno« kann man den Autor der Vorlage noch fragen, wie ihm die Umsetzung gefällt. Gluchowskij erklärt die Vorzüge auf Umwegen: »Durch das Spiel werden hoffentlich noch mehr Menschen das Buch lesen und erkennen, dass der Held darin nur ein einziges Mal jemanden tötet – und auch das nur aus Notwehr. Das Buch handelt also nicht von der Gewalt, sondern davon, wie man sich auch in den schrecklichsten und unmenschlichsten Situationen seine Menschlichkeit bewahren kann.« Tatsächlich ist die Welt von »Metro 2033« auch im Spiel nicht nur Schießbude. Das Szenario einer unterirdischen, postapokalyptischen Favela ist beklemmend und detailliert eingefangen, in Gesprächen mit den Bewohnern gewinnt die Geschichte Kontur.
Für die Entwickler, die aus der Ukraine stammen, ist »Metro 2033« auch die Bewältigung von Tschernobyl und anderen sowjetischen Traumata: »Als Kind hatten wir ab der ersten Klasse das Fach ›Zivilverteidigung‹«, sagt Entwickler Andrej Prochorow. »Ich war damals sieben Jahre alt und hatte nachts manchmal Albträume davon. Jetzt sind die Albträume durch die Arbeit an dem Spiel wieder da.«
Bioshock 2, 2k Games, www.bioshock2game.comDante’s Inferno, Electronic Arts, www.dantesinferno.comMetro 2033, THQ, www.metro2033game.comGamescom, Köln, 19. bis 22. Aug. 2010. www.gamescom.de