TEXT: STEFANIE STADEL
Es war ein Tag im Juli 1966. Als einfache Bauern im Nordosten Afghanistans rein zufällig auf wunderbare Gold- und Silbergefäße stießen: fast 4.000 Jahre alte Becher und Schalen, in verschiedenen Techniken reich dekoriert. Sofort machten sich die stolzen Finder mit dem Beil ans Werk, die Beute zu zerhacken, um alles gerecht unter-einander aufteilen zu können. Als die örtlichen Behörden eingriffen, waren nur noch zwölf Stücke heil. Ein furchtbarer Verlust. Aber ge-ring, wenn man ihn mit den verheerenden Zerstörungen vergleicht, die dem afghanischen Kulturerbe in den folgenden Jahrzehnten zusetzen sollten.
Zuerst kam 1979 die Invasion der Sowjets, die Afghanistans Wirtschaft und kulturelle Infrastruktur zerstörten und das Land nach dem Abzug zehn Jahre später ohne politische Ordnung hinterließen. Dann der Bürgerkrieg diverser Mudschaheddin-Gruppen, deren Kämpfer plündernd über Museen herfielen. Und schließlich der unglaubliche Ikonoklasmus des Taliban-Regimes: Wer erinnert sich nicht an die Fernsehaufnahmen des bizarren Schauspiels im März 2001, als die beiden riesigen Buddha-Statuen von Bamiyan, vor 1500 Jahren aus dem Fels gemeißelt, innerhalb weniger Augenblicke in die Luft flogen.
Und das war nur der spektakuläre Höhepunkt des islamistischen Bildersturms. Auch öffentliche Sammlungen hatten schwer unter den Taliban zu leiden, allein im Nationalmuseum von Kabul gingen auf deren An-ordnung über 2000 »unislamische religiöse Statuen« zu Bruch. Der Keller dort liege noch immer voller Trümmer, weiß Susanne Annen. Als Projektleiterin betreut sie die beeindruckend bestückte Afghanistan-Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle.
Um die 230 »geretteten Schätze« aus dem Kabuler Museum kommen da derzeit zusammen – aus 2000 Jahren und aus vier verschiedenen Grabungsorten im Nordosten des heutigen Afghanistan. Sie erzählen von einem offenen eurasischen Raum, in dem im Laufe der Zeit Einflüsse aller möglichen großen Kulturen wirksam waren. Drei der bronzezeitlichen Becher und Schalen aus Tepe Fullol, die den Attacken der Bauern-Beile entgingen, stehen erhaben am Anfang der Ausstellung. Es folgen Skulpturen, Architekturfragmente, sagenhafte Goldarbeiten, Gläser, feine Elfenbeinschnitzereien. Darunter viele Hauptstücke des Nationalmuseums in Kabul, die man jahrelang zerstört oder verschollen wähnte.
Wahrscheinlich wusste nur eine Handvoll verschwiegener Kulturschützer, dass die Kostbarkeiten seit den späten 80ern, sicher im Tresor der Zentralbank, auf ungefährlichere Zeiten warteten. 2004 war es so weit. Das gut gehütete Geheimnis wurde gelüftet, und die glücklich geretteten Reste gingen bald auf Welttournee: Paris, Turin, Amsterdam, fünf Stationen in den Vereinigten Staaten und in Kanada. Rund eine Million Menschen haben die Kostbarkeiten aus Kabul bisher bewundert.
Jetzt ist Bonn dran. Nach Grabungsstätte sortiert, werden sie hier in vier stimmungsvollen Schatzkammern präsentiert. Auf Schildchen verzichtet die Schau, drückt den Besuchern stattdessen lieber ein Labelheftchen in die Hand. Auch um die Wirkung der manchmal winzigen Exponate nicht zu stören. Dämmerlicht und schwarzer Nadelfilz auf dem Fußboden untermalen das feierliche Flair im Inneren der vier Räume.
Goldener Glanz im passenden Ambiente, das müsste doch eigentlich ziehen. Aber Projektleiterin Annen gibt sich eher zurückhaltend, was die Erfolgsprognosen ihrer Ausstellung angeht. Byzanz, der Vatikan, auf solche Ausstellungen fliege das Publikum. Für Themen wie Afghanistan werde es sich dagegen weniger leicht erwärmen. Schade. Denn da könnte es echte Entdeckungen machen.
Zum Beispiel in Ai Khanum und der zugehörigen Ausstellungsabteilung, wo der Hellenismus im Mittelpunkt steht. Nach dem Feldzug Alexanders des Großen im 4. Jahrhundert gegründet, kann die Stadt wohl als östlichster Punkt der griechischen Welt gelten. Ganz und gar korinthische Kapitelle aus Ai Khanum sprechen in Bonn für sich. Doch mischen sich auch fremde Ideen ein. Ein originelles Gemisch aus beidem bietet die kreisrunde Kybele-Scheibe aus dem dritten Jahrhundert vor Christus. Die Göttin der wilden Natur steht da auf einem von Löwen gezogenen Wagen – ein Motiv, das aus dem griechischen Mittelmeerraum bekannt ist. Damit hat jener barfüßige Priester hinter dem Wagen, der Kybele als Sonnenschirmträger begleitet, allerdings wenig zu tun. Ohne Zweifel findet er seine Vorbilder im Orient.
Noch unübersichtlicher wird das multikulturelle Gemisch in Tillya Tepe, dem »Goldhügel«, wo Ende der 70er die letzte große Entdeckung vor dem Einmarsch der Sowjets und den folgenden Jahren des Chaos’ gelang. Die Schau zeigt Beigaben aus sechs um Christi Geburt ausgehobenen Gräbern: Griechisch-römische, indische und chinesische Artfakte. Die Verstorbenen, ein Mann und rings um ihn fünf Frauen, wurden mit Schmuck von unglaublicher Pracht zur letzten Ruhe gebettet. In Bonn bestücken die oft mit Edelsteinen besetzten Goldschmiedearbeiten den spektakulären Höhepunkt der Ausstellung. Es waren reiche Nomadenfamilien, die sich solchen Luxus leisteten. Doch fällt es bei all der Pracht, dem Raffinement, dem Erfindungsreichtum ihrer Grabschätze schwer, die Verstorbenen als »Barbarenfürsten« bezeichnet zu sehen.
In der Bundeskunsthalle glänzt etwa eine im ersten Jahrhundert nach Christus gearbeitete Blumen-Krone nach koreanischer Art. Und ein stehendes Mufflon, das offenbar der Hut- oder Helmzier diente. Als wäre es auf dem Sprung, steht das fünf Zentimeter große Tierchen da. Sicher stammt das Stück aus dem Besitz des Nomadenadels. Auch wenn die realistische Darstellung, die detaillierte Modellierung der Schnauze, die Wiedergabe des Fells und der Barthaare der Kunst jener Steppenvölker fremd scheinen und auf eine Werkstatt mit ganz anderer Tradition hinweisen.
Zwar weiß man nicht, woher genau die Herrscher von Tillya Tepe kamen. Doch machen die goldenen Funde mit ihren unterschiedlichen Stilmerkmalen klar, welche Rolle Afghanistan als wichtige Station auf der Steppenstraße spielte, die den eurasischen Raum zwischen Schwarzem Meer, Krim und koreanischer Halbinsel durchzog. Hier kommt alles zusammen. Ein merkwürdiges Gemisch unterschiedlichster Einflüsse zeigt nicht zuletzt die goldene »Aphrodite von Baktrien«: eine geflügelte Frauenfigur in Frontalansicht. Sie hat die rechte Hand auf die ausgestellte Hüfte gestützt. Mit der Linken hält sie nachlässig ihr knapp die Scham verdeckendes Gewand. In der verführerischen Gestalt haben hellenistische Vorbilder das Sagen. Nur, dass hier das Schönheitsideal ein ganz anderes ist. Aphrodites rundes Gesicht, ihre Mandelaugen, die füllige Figur – so etwas hätte es in Griechenland nicht gegeben. Erst recht nicht den »indischen« Punkt auf ihrer Stirn.
In Tillya Tepe deutet sich eine wichtige Etappe in Afghanistans Geschichte an: Unter dem zunehmenden Druck von Nomadenvölkern werden im 1. Jahrhundert die Kushana-Herrscher an die Macht kommen. Davon zeugen die Stücke aus Begram, dem letzten der vier in Bonn beschriebenen Grabungsorte, wo die ältesten erhaltenen Beispiele griechisch-römischer Glaskunst gefunden wurden und die frühesten bekannten Elfenbeinarbeiten. Darunter hinreißende Statuetten indischer Göttinnen.
Mit Blick auf all die schönen Stücke drängt sich natürlich die Frage auf, was damit passiert, wenn die Tour durch internationale Ausstellungshäuser zu Ende ist. Das Kabuler Nationalmuseum sei dermaßen beschädigt, so Annen, dass man sie dort definitiv nicht zeigen könne. Und so werden sie wohl vorerst wieder im Tresor verschwinden. Bis die Afghanen ihren Traum verwirklichen können von einem neuen Museum für ihre Hauptstadt.
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. 11. Juni bis 3. Okt. 2010. Tel.: 0228/9171 200. www.bundeskunsthalle.de