TEXT: ULRICH DEUTER
Es war eines der ersten Kulturhauptstadt-Projekte, die Ort und Namen hatten sowie vor allem eines: eine konkrete Idee. Und dann eines der ersten, die in den Programmfindungsstrudeln der sich formierenden Kulturhauptstadt-Organisation untergingen – wie die »Zweite Stadt« auf Zollverein. So sah es jedenfalls vom Ufer aus. Doch die Idee, die in dem Projekt steckte, erwies sich nicht als Luft, sondern als Auftrieb. Und nun schaukelt es fröhlich auf den Wellen des Essener Baldeneysees: das »Ruhr-Atoll«.
Clou dieses Kunstprojekts ist die Kombination von je einem Künstler und Wissenschaftler, die gemeinsam eine Insel auf dem Stausee gestalten. Und immer geht es dabei auch um Energie – ihre Gewinnung, maßvolle Nutzung, ubiquitäre Bedeutung. Aber das ist ein so weiter Begriff, dass man ihn als Motto nicht weiter ernst nehmen muss. Das tun Ilya und Emilia Kabakov auch nicht, das russische Künstlerpaar, das die sicher ausgefallenste der fünf Inseln geschaffen hat, die ab Mai vor der Staumauer des Sees vor Anker liegen. »Ein Projekt für den Schutz von natürlichen Ressourcen, Ensemble zur wissenschaftlichen Wasseruntersuchung« heißt das 300 Quadratmeter große, schwimmende Unikum. Doch das ist pure Ironie. Es zeigt mitnichten eine ökologisch korrekte Hightech-Konstruktion, sondern eher das Gegenteil: Wenn man so will (und Kabakov selbst legt dies nahe), einen sowjetisch-postsowjetischen Unnützapparat, der mittels uraltem Schiffsdiesel Wasser aus dem See pumpt, es durch aberwitzige Roströhren, Scheinfilter und über leer drehende Wasserräder leitet, bevor es wieder zurück in den See fließt. Auf sämtlichen Schrottplätzen des Reviers hat Kurator Norbert Bauer die Utensilien für die Tinguely-ähnliche Konstruktion zusammengeklaubt, darunter ein krudes Ding zur Vergasung von Pferdemist und eine selten gammelige Schreberhütte.
Kabakovs Insel wird (wie noch zwei weitere) per Tretboot anzusteuern und zu begehen sein; für die Doppelinsel des Paares Kazuo Katase & Michael Wilkens (ein Architekt) mit dem schönen Namen »Frosch und Teemeister« gilt dies leider nicht, obwohl sie – auf ganz andere Weise – ähnlich reizvoll ist. Ein japanisch anmutendes Teehaus, das in unendlicher Ruhe Wasser in einem großen Becken sammelt. Wasser, das in stiller Stetigkeit zehn Gemüsebeete nährt, die auf der Nachbarinsel wachsen. That’s it. Von der Staumauer aus werden sie am besten zu sehen sein: das versunkene U-Boot, dessen Turm gerade noch aus den Fluten ragt; der Eisberg, in dessen Innern in Kühlschrankkälte die Geräusche der Antarktis zu hören sind; das schwimmende Feld aus 45.000 Äpfeln. Sowie – als nicht schwimmendes sechstes Projekt – der Rettungsring, der eine wirklich kleine Insel auf der anderen Seite des Wehrs umschlingt. Es wäre sehr zu wünschen, dass das eine oder andere dieser Objekte die Kulturhauptstadt überdauert.
12. Mai bis Ende Sept. 2010, Essen-Werden, Südseite des Baldeneysees. www.ruhr-atoll.de