TEXT: STEFANIE STADEL
Sie ist noch ganz die alte. Wie eh und je hockt die Tigerkatze hoch oben auf dem Küchenschrank. Doch hat sie die Zeit genutzt und dazugelernt seit ihrem Auftritt letztes Jahr in Venedig. Nicht mehr Englisch, sondern laut und Deutsch spricht Liam Gillicks ausgestopftes Haustier in der Bonner Bundeskunsthalle zu uns. Dort ist es sozusagen Hauptdarsteller einer großen Retrospektive, die Gillicks Werk der letzten rund 20 Jahre überblickt und sich dazu die viel diskutierte Kücheninstallation aus dem deutschen Pavillon ins Haus holt – über wenige Biennale-Beiträge ist je so viel geschrieben worden. Und es gibt sicher kaum einen, der dabei so schlecht wegkam.
In Bonn tut sich das arme Vieh in seiner Küche nicht leichter. Im Gegenteil, denn hier geht ihm bei allem Übel auch noch jene Sinn stiftende Umgebung verloren – der deutsche Pavillon mit seiner nationalsozialistisch geprägten Architektur. Man kann sich durchaus darüber streiten, ob es gut war, Gillicks Arbeit die Verpflanzung in neutrale Gefilde zuzumuten. Für die Bonner Kuratoren ist das indes keine Frage: Auch wenn der Künstler etwas für einen bestimmten Ort konzipiert habe, funktioniere es ebenso gut anderswo, erklären sie.
Der ganze große Werkkontext soll in der Bundeskunsthalle nun helfen, Gillick und seine Küchenkatze besser zu verstehen. Allerdings gibt sich die Schau wenig Mühe, dieses Ziel tatsächlich zu erreichen. So verzichtet sie auf erhellende Wandtexte, Deutungen, Erläuterungen. Obwohl der Besucher die sicher gut gebrauchen könnte. Denn angesichts der rund 60 coolen, klaren, strengen, spröden Stücke, die der 45-jährige Brite dort auffährt, bestätigt sich nur, was schon seine Küche allein in Venedig vermuten ließ: Wer mehr als ästhetische Reize sucht, wer Gillick verstehen will, muss sich tief einlesen, eindenken, einfühlen. Denn die Werke verraten, für sich betrachtet, kaum etwas über ihren imposanten intellektuellen Unterbau. Über all die gesellschaftlichen, gestalterischen, visionären, politischen Gedanken, die er mit seinen konzeptuellen Arbeiten verbindet.
Was etwa wie ein schlicht-schickes Designobjekt aus Aluminium und buntem Plexiglas ausschauen mag, hat Gillick als Ort des gemeinsamen Gesprächs gedacht. Auf Plattformen, zwischen farbigen Wänden oder unter baldachinartigen Konstruktionen schafft er Orte der Diskussion über zentrale Fragen unserer Gesellschaft. Schauplätze, an denen Pläne für zukünftige soziale Modelle ausgeheckt werden.
In eine ähnliche Richtung zielen die mit bunter Jute bespannten und auf Rollen fahrbaren Stellwände der »Volvo Bar«. Gillick wählte den Titel des labyrinthischen Arrangements mit Bedacht. Ohne ihn würde man wohl kaum darauf kommen, dass dies der Platz für Utopien einer anderen Arbeitswelt, für Visionen neu organisierter Produktionsabläufe sein könnte.
Von dem, was das verzwickte Œuvre des Künstlers, Kurators, Komponisten und Kritikers außerdem noch alles auf Lager hat, zeugen jede Menge Werktitel in schwarzer Schrift auf einer weißen, schräg durchs Ausstellungsgeschehen geschobenen Mauer – ein Kunstwerk für sich.
Was nimmt man mit aus Bonn? Vielleicht den Ausstellungskatalog. Die Kuratoren empfehlen das dicke Ding für 29 Euro allen, die mehr wissen wollen, als die Ausstellung vermitteln kann. Billiger zu haben und müheloser im Gebrauch: Gillicks Küchenkatze als Kuscheltier – mit trübem Blick und den drei Kunsthallen-Türmchen auf dem Kopf. Dafür bedarf es, zum Glück, keiner Erklärung.
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. Bis 8. August 2010.
Tel.: 0228 / 9171-200. www.bundeskunsthalle.de