// Als Stand-Up-Comedian ist sie auch unterwegs. Die Frau, in deren Büchern es um so komische Dinge wie gescheiterte Beziehungen, Todessehnsüchte, Kriegserlebnisse, Alkoholismus oder masochistische Sexpraktiken geht. In A. L. Kennedys Geschichten finden sich regelmäßig unerlöste Seelen, Fühllose und Ünberührbare ein. »Nein«! Das sei ihr als Kleinkind als erstes Wort über die Lippen gekommen, erzählt die 1965 in Schottland geborene A. L. Kennedy, wenn sie nicht am Schreibtisch sitzt, sondern mit ihrem aktuellen Programm »Words with A. L. Kennedy« auf der Bühne steht. Dann erfährt das belustigte Publikum auch, dass die vierjährige Alison Louise nur eine Farbe hat tragen wollen: Schwarz.
Verschattet und zugleich heiter ging es schon immer in A. L. Kennedys Romanen und Erzählungen zu. Das ist in »Was wird«, ihrem neuen Erzählband, nicht anders. Unsentimentale Szenen von einsamer Zweisamkeit, schmerzlich misslingenden Annäherungen, körperlicher wie seelischer Gewalt. »Was wird« ist die alltägliche Hölle, doch man kann davon nicht lassen. Denn A. L. Kennedy balanciert ihre zwölf Erzählungen mit der ihr eigenen Mischung aus Sarkasmus und Zärtlichkeit gekonnt an den biografischen Kipppunkten ihrer Figuren aus. In jenen Momenten, in denen durchschnittlich vermurkstes Leben den entscheidenden Knacks bekommt, in denen plötzlich nichts mehr in Ordnung oder etwas gerade zu Ende gegangen ist. Manchmal gibt es – trotz des verzweifelt post-katastrophischen Titels »Was wird« – gar eine stille Hoffnung, dass die Zukunft das bescheidene Versprechen einlösen wird, das die Vergangenheit nicht gehalten hat.
A. L. Kennedy vermag Sprache wie kaum eine andere mitleidlos als Seziermesser zu handhaben. »Ray war vorhersehbar« – mehr als das braucht es nicht, um das unspektakuläre Trauerspiel einer langjährigen Beziehung kühl und scharf zu umreißen ist. Ein Paar probt in »Wespen« schon mal den Abschied. Noch ist es einer auf Zeit. Denn Ray verlässt das Haus wie immer für ein paar Tage, um arbeiten zu gehen. Frauen trifft er wohl auch, weshalb sich Trennungsschmerz nur bei den Kindern bemerkbar macht. Der Vater betäubt ihn, indem er Schuldgefühle injiziert: »Dein Bruder und du, ihr seid sehr teuer.« Und während sich im Haus immer wieder halbtote Wespen einfinden, um zum Sterben hinter die Kommode zu kriechen, wappnet sich die Frau schon mal mit Zorn für den Tag, an dem Ray nicht mehr wiederkommen wird.
»Gerechterweise musste man sagen, dass er ihr selten ins Gesicht schlägt«, heißt es in der Erzählung »Ehe«, in der ein Mann seiner Frau auf der Suche nach Versöhnung durch die Stadt folgt. In der Nacht zuvor hat er sie vergewaltigt, jetzt will er ihr »einen herrlichen Tag« schenken. »Ich bin zweihundertfünfzigtausend Dollar wert«, eröffnet Tom in »Konditorgold« Elaine. Vor kurzem waren beide noch ein gut situiertes Paar. Nun sitzen sie in einem viel zu teuren Restaurant und Tom taxiert selbstmitleidig den Kurs seines Körpers als Transplantationsersatzteillager. Denn er ist ein Mann, den die Wirtschaftskrise ruiniert hat, sie eine Frau, die sich gerade noch zurückhalten kann, »Du bist überhaupt nichts wert« zu antworten.
Virtuos und mitleidlos zoomt sich Kennedy in die Köpfe ihrer Figuren hinein und treibt die Geschichten durch deren aufgewühlte Bewusstseinsströme voran. Tabulos lässt sie zwei Unbekannte sich in einem exzessiven One-Night-Stand verfehlen. Die Frau hat am Nachmittag ihre Mutter beerdigt; der Mann hat vorher ein »das Le-ben veränderndes« Vorstellungsgespräch gehabt. »Mit Gefühl« heißt die Geschichte, in der sich beide kaum eine Stellung ersparen, um sich nicht kennen lernen zu müssen. Eine Geschichte, die allein aus Dialogen montiert ist, aus der persiflierten Sprache der Pornografie. Mit Gefühl hat das bekanntlich nichts zu tun, genauso wenig wie mit Mitgefühl. Letzteres darf man von A. L. Kennedys Erzählungen auch nicht erwarten. Sonst aber eine ganze Menge. //
A. L. Kennedy, Was wird; aus dem Englischen von Ingo Herzke. Verlag Klaus Wagenbach, 2009, 220 S., 19,90 Euro