// Düsseldorf war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Zentrum und Ausgangspunkt verschiedener Avantgarde-Bewegungen. Joseph Beuys gab der Skulptur eine völlig neue Richtung. Nam June Paik machte die Video-Kunst zum Vorbild der nachfolgenden Generation. Die Postmoderne als schillernde Spiegelung der Kunst der Gegenwart führte zu Schlüsselwerken von Katharina Fritsch, Isa Genzken, Ludger Gerdes, Reiner Mucha, Thomas Ruff und Andreas Gursky. Dieser Blick einerseits zurück und andererseits nach vorn in der Kunst ist Thema der Quadriennale 2010. Sie steht unter dem etwas banalen Motto »Kunstgegenwärtig«, bietet aber gleich mehrere Paukenschläge. Fast alle wichtigen Impulse, die von hier ausgingen, werden in Retrospektiven zusammengefasst.
Der Amerikaner James Lee Byars (1932–1997) wird im Spiegelsaal von Schloss Benrath und in den Parkanlagen vorgestellt. Der Mann im Goldlamé-Anzug war ein Magier räumlicher Gestaltung – und Selbstdarsteller. Seine Goldkugeln beweisen, wie grandios er Räume komprimieren und reflektieren konnte. Stets Konzeptkünstler, schenkte er 1994 dem Kölner Museum Ludwig ein »Perfektes Lächeln«, das nach einer kurzen Bewegung vom Gesicht verschwindet. Sein Selbstporträt aus demselben Jahr besteht aus einer schwarzen Spiegelfläche mit breitem Goldrand. In dem schwarz lackierten Holz bricht sich nicht nur die Außenwelt, sondern werden die Blicke ins Innere gezogen. Grotesk und pompös wie ein Tusch erscheint der Siegeskranz dazu.
Der Belgier Marcel Broodthaers (1924–1976) zog im Oktober 1970 nach Düsseldorf, mietete einen Kellerraum am Burgplatz und wurde in der Kunsthalle entdeckt, wo er nun auch – als Co-Projekt mit dem Kunstverein – mit einer Ausstellung gewürdigt wird. Er hinterfragte den Museumsbetrieb, suchte nach den Widersprüchen zwischen Wort und Bild, überschritt die Grenzen der Malerei und schuf Installationen, die zum schönsten und intelligentesten gehören, was in dieser damals noch neuen Gattung überhaupt entstand. Seine Filme sind fragmentarisch, irgendwie altmodisch, fern der Zeit. Als ein Mann des Anders-Denkens konnte er Bewegungen anhalten und stills in der Endlosschleife zu einem Perpetuum mobile machen. Im Werk Broodthaers’ ist stets Nostalgie mit im Spiel.
Der Koreaner Nam June Paik (1932–2006) war ein permanenter Erfinder und Experimentator. Er startete seine Karriere 1959 im Rheinland als Aktionsmusiker, schuf 1965 erste Videotapes, entwickelte 1969 erste Video-Synthesizer, schuf spektakuläre Multi-Video-Installationen und Laser-Skulpturen. Seine Materialien waren Musikinstrumente, Tonbänder, Videokameras, Rekorder, Telefone, Roboter, Filme, aber auch Staubkörner oder einfach nur hell belichtete Filmbänder. Die umfangreiche Retrospektive, eine Co-Produktion des museum kunst palast
mit der Tate Liverpool, bringt erstmals die deutsche, anglo-amerikanische sowie koreanische Paik-Forschung zusammen. Die Ausstellungsmacher sind Kenner: Jochen Saueracker war Jahrzehnte lang Assistent von Paik, hat Kontakt zu vielen Privatsammlern und Zugang zum Archiv-Material. Susanne Rennert weiß Bescheid über das Frühwerk und die Fluxus-Phase. Die koreanische Kuratorin Sook-Kyung Lee aus Liverpool ist mit dem Kulturgut des Zen-Buddhismus vertraut, das eine weitere Linie in Paiks Werk bildet.
Gespannt sein kann man auf die Beuys-Ausstellung in der Kunstsammlung K 20, die unter dem Titel »Parallelprozesse« geführt wird. Der Künstler wird in zehn großen Installationen präsentiert, zugleich soll die Skulptur als Handlungsform und als Performance präsentiert werden. Was Beuys in die Kunstgeschichte einbrachte, war immer auch ein neues Materialverständnis, in dem Energie eine wesentliche Rolle spielte. Mit dieser Schau gibt Marion Ackermann ihren Einstand als neue Chefin am Grabbeplatz.
Die Quadriennale schaut zugleich auf die 80er Jahre, in denen die Themen Erinnerung und Erzählung akzentuiert wurden. Hier zeigt Düsseldorf einen Museumsschwerpunkt, den Julian Heynen in seiner Zeit als Leiter von K 21 selbst auf- und mit der Übernahme der Sammlung Ackermans ausgebaut hat. Die von ihm konzipierte Schau enthält zehn Künstler aus dem Umfeld der Düsseldorfer Akademie sowie sechs internationale Bildhauer wie Richard Deacon, der gerade als Professor an die hiesige Kunstakademie berufen wurde.
Natürlich kann bei den Positionen der Düsseldorfer Avantgarde die Fotografie nicht fehlen. Dabei erinnert das NRW-Forum im Ehrenhof an eine »Neue Topographien« genannte Foto-Schau von 1975 im George Eastman House in Rochester, NY. Bernd und Hilla Becher nahmen daran teil, neben Stephen Shore etwa und anderen. Das NRW-Forum knüpft daran die Überlegung, wer die inzwischen weltweit gefeierte Fotografie aus Düsseldorf beeinflusst hat – eine kühne, bislang nie gestellte Frage.
Kunsthalle und KIT (Kunst im Tunnel) widmen sich der mittleren Generation. Katharina Grosse sprengt allein schon im Bildformat Grenzen und Hierarchien. Ihre Kunst ist eine Synthese aus Architektur, Skulptur und Tafelbild. Ihre großformatigen, sich in den Raum wölbenden, gemalten Ellipsen aus laminiertem Hartschaum machten schon in der Berliner temporären Kunsthalle Furore. Sie sollen in Düsseldorf auch im Außenraum platziert werden. Ihr stolzes Credo einer Malerei, die die Wirklichkeit produziert, lässt sich kaum übertreffen. Björn Dahlem wird im KIT unter Tage eine mindestens 120 Meter lange Lichtskulptur entwickeln; Dirk Skreber will einen Sprungturm am Wasser der nahen Rheinpromenade aufbauen.
Auch private Häuser machen bei dem Kunst-Marathon mit. So zeigt die Julia Stoschek Collection die erste europäische umfassende Retrospektive des britischen Filmregisseurs Derek Jarman (1942–1994) mit Leihgaben aus dem Bestand des Nachlassverwalters James Mackay. Jarman, herausragender Vertreter des British Independent Cinema (»Caravaggio«, »Edward II.«), rückt durch seine Experimente mit Licht, Farbe und den Schichtungen von Bildern bei seiner radikal-poetischen Arbeit mit der Kamera in die Nähe der Malerei. Wiederholt betonte er Momente des Magischen und Traumhaften. Im Kampf um die Gleichberechtigung Homosexueller, die Aufklärung über Aids und gegen den Thatcherismus hat er die Kunst mit dem Leben und das Leben mit der Kunst verbunden.
Des weiteren sendet die Zero Foundation – im Medienhafen – Licht in die Finsternis und bittet die Künstler Heinz Mack, Otto Piene und Robert Wilson zu Aktionen. Die Privat-Stiftung Kai 10 ist bei der konzertierten Aktion dabei. Die Akademie-Galerie bestückt ihre Räume mit Zeichnungen. Das Inter Media Art Institut Imai präsentiert Projektionen von Katharina Sieverding. Und die Düsseldorfer Galerien werden sich mit »Deutschlandpremieren« beteiligen. //
Quadriennale 2010 vom 11. September 2010 bis 16. Januar 2011; www.quadriennale-duesseldorf.de