// »Money makes the world go around«, singt der Conférencier im Musical »Cabaret«. Vielleicht dreht sich deshalb die mit Video-Plakatwänden zusätzlich aufgerüstete Bühne (Ricarda Beilharz) im Düsseldorfer Schauspielhaus um und um. Will man so »Das Geld« in Umlauf bringen? »Wir halten Sie auf dem Laufenden«, verkündet die Reporterin vom »Börsenblitz« zeitnah. Doch indem das Theater seinen Atem am Krisenbarometer ausrichtet, geht ihm die Luft aus. John von Düffel zahlt in seiner dürftigen Dramenfassung mit kleiner Münze Emile Zolas Roman »Das Geld« aus – Buch 18 der 20-bändigen Rougon-Macquart-Chronik. Die gute Absicht, den »Blutkreislauf des kapitalistischen Systems und seine Pumpstation, die Börse« (Zola) darzustellen, macht längst kein gutes Theater, das sich in der Selbst-Suggestion wiegt, Relevantes zur Systemkrise beitragen zu können, während es in Wahrheit nur unendlich Banales und Belangloses produziert, aktuell stylt und im Leerlauf rotieren lässt.
Viel Bewegung ist in dem Abend, beginnend damit, dass die Zuschauer als Anteilseigner der Handlung die erste Viertelstunde im Foyer die Köpfe recken müssen, um dem Darsteller-Dutzend bei seiner Hast zuzusehen, mit der es das Börsengeschehen rührend emsig und einfältig imitiert, während der »Marxist« Sigismund beflissen die Gegenrede vertritt und Kapitalismuskritik übt. Allein, Tina Laniks plumpe Inszenierung kommt kaum vom Fleck, der hier die Börse ist, wo Spekulationen den Aktienkurs in die Höhe treiben, bis die Kurve einknickt und ebenso abrupt der Verursacher der Hausse- und Baisse-Exzesse, Aristide Saccard. Der Homo faber gründet die Universalbank, die mit einem Syndikat Investitionen im Nahen Osten finanziert, Wachstum suggeriert und orientalische Märchenträume nährt. Michele Cuciuffo verschwindelt, verhetzt und verhampelt den Hasardeur mit Goldflitter und Lametta zum Rammler und Trickser, um ja den falschen Zauber seiner »Poesie der Resultate« zu enthüllen. Saccard darf sich als »Master of the Universe« fühlen, wie ein Jahrhundert später Tom Wolfe die Broker im »Fegefeuer der Eitelkeiten« nennt, bis sein Gegenspieler Gundermann (Abbild des Barons Rothschild) die Blase platzen lässt. Wie es an der Börse oft geht, der Gewinn liegt bei Null.
Der Werteverfall setzt sich fort. Es geht immer noch tiefer, herab in die Eingeweide der großen Bühne, die Olaf Altmann zur Katakombe ausgehöhlt hat. Düster klafft ein Abgrund, schluckt das Lustspiel und spuckt es aus als Modell der Entwurzelung: Lessing wie Gorki. Der Gasthof, in dem Minna von Barnhelm mit 15 billigen Kunstlederkoffern Logis nimmt und ihren entehrten Major Tellheim trifft, ist Freudenhaus und Nachtasyl. Der Krieg hinterließ ein moralisches Vakuum, wie wir es aus dem »Dritten Mann«, Malapartes »Haut« oder Fassbinders »Maria Braun« kennen. Schmierig und frivol putzen sich die Menschen auf, eingerichtet für die unwirtliche Übergangsgesellschaft. Amélie Niermeyer hat das Stück existentialistisch aufgeraut, knapp und konzentriert entkernt, verengt und verschärft zum Notstands-Symptom und Unterschichten-Drama. Diese Sicht beglaubigen zwei starke Hauptfiguren, Katrin Röver und Stefan Kaminsky: Tellheim, ein leichtathletischer Heiland und Penner in Parka und Kapuzenshirt, ist ebenso grobianisch verzweifelt wie seine nicht sehr züchtige Minna. Fritz Schediwy als Wirt flaniert und stolziert, schwillt und trillt wie Graf Koks – ramponierter Operetten-Danilo und gefinkelter Gauner – über die weiten Spielflächen und stiehlt dem sonst für diesen zwielichtigen Part zuständigen Riccault die Show. Ein Blechorchester entsteigt der Unterwelt, formiert sich zum instrumentalen Volker-Lösch-Chor und bläst den Marsch, der mehr nach Trauer statt nach Hochzeit klingt. Keine Zukunftsmusik für »Minna von Barnhelm«.
Noch ein Schreckgespenst geistert umher. Es kommt aus der Vergangenheit, gibt sich siegesgewiss und der Zukunft zugewandt und trägt seine rote Farbe dick auf: der Kommunismus. »Ein Gespenst kennt mehrere Zeiten«, das Derrida-Zitat, wird an die Wand des Kleinen Düsseldorfer Hauses projiziert. Hier wird’s eng: Die junge Sowjetunion reagiert 1921 auf die soziale Lage mit der Einführung der NÖP (Neue Ökonomische Politik), die auch Wohnraumzuweisungen vornahm. Die Norm sank im Laufe von zehn Jahren auf neun Quadratmeter pro Person. Nun sind Konjunktursofortprogramme und rote oder grüne New Deals, die Wirtschaftswachstum generieren sollen, nicht von gestern, was Sebastian Baumgartens Inszenierung von Michael Bulgakows »Sojas Wohnung« (entstanden 1926) stets aktuell mitdenkt. In besagter Wohnung, die als Schneiderwerkstatt deklariert wird, in Wahrheit aber als Bordell und Unterschlupf für eine die Sektkorken knallen lassende, dekadente Bourgeoisie dient (wie die Bolschewiki sagen würden), geht’s hoch her. Schiebergeschäfte, Korruption und Prostitution laufen wie am Schnürchen. Ging bei Tschechow der Sehnsuchtsruf »Nach Moskau«, haben diese Luxusgeschöpfe nur Paris im Sinn: bloß weg aus dem Paradies des Proletariats.
Wie in einer Filiale von Castorfs Berliner Volksbühne-Prater wird Bulgakows Groteske dick aufgetragen als Sowjet-Soap: auf Dauer recht flau, längst nicht so lustig wie Billy Wilders »Eins, Zwei, Drei« und politsatirisch stumpf gewetzt. Kulturrevolutionär Baumgarten montiert Comic und Klischee, Russenfolklore und Revolutionspathos und feuert im zeitgerafften Videobeschuss die Munition von Eisenstein-Propaganda, Suprematismus und sonstigen Avantgarden der wilden Zwanziger ab. Die roten Garden mit den Masken von Karl, Wladimir, Rosa, Che und Co. behalten als Untote das letzte Wort. Das Menetekel als Muntermacher. Fehlte eigentlich nur noch Gregor Gysi. //