// Als Michael Buthe am 25. November 1994 starb, war er gerade mal 50 Jahre alt. Das Arp Museum im Bahnhof Rolandseck richtet dem Wahl-Kölner jetzt eine umfassende Werkschau ein mit Zeichnungen, Collagen und Objekten der 1960er/70er Jahre sowie dreidimensionalen Arbeiten der 1980er Jahre.
Wer ihm in seinem großräumigen Haus in Köln-Ostheim, einem ehemaligen Elektrizitätswerk aus der Jahrhundertwende mit maurischen Stilelementen, begegnet ist, ahnte etwas von der Gefährdung dieses Morgenlandfahrers, der die Sinne, die Erotik und die Schönheit verherrlichte. Über ihm eine nachtblaue Decke mit gelben Sternen, die vermittelte, dass sich jemand eine märchenhafte Traumwelt geschaffen hatte. Überall diverse Fund- und Erinnerungstücke; auch Fetische aus exotischen Ländern, darunter der rote Federhut eines afrikanischen Medizinmannes. Alles, was ihn umgab, wie etwa die schwarzweißen Fotos des Barons von Gloeden, die er so poetisch übermalte, dass das Utopische einer harmo- nischen und friedfertigen Menschenwelt hervorstach, unterstrich das Nicht-Sesshafte. Wenn aber Buthe nicht in Indien, Persien, Afghanistan, Syrien, Ägypten, Israel, in Tunesien oder Marokko, im ehemaligen Königreich Benin, Nigeria oder Usbekistan unterwegs war, brach er zu Kopfreisen ins »innere Afrika« auf. Wie die Gruppe der Surrealisten vor ihm, drängte es ihn in unbewusste Schichten außerhalb der Kultur, in die er zufällig hineingeboren worden war.
In dem Raum aus ochsenblutrot bemalten Wänden, wo er den Besucher empfing, während er seinen jungen marokkanischen Hausgeist zum Fotografieren hinaus ins damals karnevalistische Köln scheuchte, standen ein langer Tisch mit üppigen Kerzenleuchtern, vollgestopfte Bücherregale mit Fotos von kurzgeschorenen Soldaten, Männern beim Fußhallspiel oder dunkel gelockten Jungen aus dem Süden. Dazu verteilten sich teils fremde, teils eigens geschaffene Objekte, vereint zum schillernden Gesamtkunstwerk, in dem sich Orient und Okzident gute Nacht sagten.
Buthe sprach über sich als Künstler, der naturgemäß eigentlich nur fortsetze, womit er als Kind begonnen habe. Seit jeher sei er ein Streuner gewesen, der aufgefundene Dinge in seine Hosentaschen verschwinden ließ, weil sie ihn eigentümlich ansprachen. Gleich einem Schamanen schien er ihre Magie zu spüren. Wie sehr der 1944 in Sonthofen geborene Buthe, der in Kassel bei Arnold Bode an der Kunsthochschule studiert hatte, dazu neigte, sich die Außenwelt anzuverwandeln, deutete sich an, wenn er von einem Stadtspaziergang berichtete, den er in Begleitung der draußen vor dem Fenster wachsenden Bäume absolviert habe.
Neben Drogen und dem Alkohol waren es die Geschichten von Zauberei und Animismus, an denen er wundergläubig hing, die ihn fröhlich und frei umherschweifen ließen. Der Künstler, der die Ekstase bis zur Selbstgefährdung lebte, schien das kurze, intensive Leben dem längeren, langweiligen vorzuziehen. Wenn er von den Fetischen am Lieblingsort seiner Jugend erzählte oder von dem Onkel in Höxter, der einen Stollen in den Berg des Großvaters gegraben hatte, um darin Dinge seiner Kindheit aufzubewahren, verstärkte sich der Eindruck, Buthe sei mehr in der Fiktion als in der Realität zuhause. Lichtjahre von seinem Gegenüber entfernt, befreit von Bodenhaftung, bereit, sich einer Fantasie in der Nachfolge Rimbauds vorbehaltlos anzuvertrauen.
Der zwanglose Gebrauch von Gold in seinen Werken verrät den Glückssucher, der gegen einengende Regeln in der Kunst verstieß. Das Edelmetall war für ihn weniger Farbstoff als Träger eines Glückszustands. Buthe benutzte Gold, wenn er sich gut fühlte. Wohl war es ihm beispielsweise in Florenz. Die Renaissance-Stadt rief für ihn die das gesamte Mittelmeer umspannende, dem Leib huldigende Antike auf. Auf den ersten Blick verliebte er sich dort in die Lebenden und Toten – die »Etrurier, deren Grabkammern Bilder von betäubender Glücklichkeit zier- ten«. Er mochte das bunte Treiben in den Straßen, beobachtete »das tägliche Fest der Transvestiten, die einherstolzierten, rosa Flamingos an zierlichen Leinen haltend, die glühenden Augen der Männer aufsaugend«. So steht es in seinen Tagebüchern.
Als wäre er ein dem Surrealismus entsprungener Mystiker, der an der Sinnvermehrung und -verschiebung arbeitet, beschwor Buthe die Welt der Dinge neu. Befreit vom Firnis der Zweckbedeutung, gab er ihnen neues, reicheres Leben. Aus Gegenständen wie Besen, Teppichklopfer, Kleidern, Kinderwagen, Stühlen, Schachteln fertigte er humorvolle Assemblagen von rätselhafter Schönheit. Indem er seine Collagen mit dem Talmi-Glanz aus Flittersternen, Postkarten, Farbfotos, Starporträts, geschmolzenem Wachs, beigemischtem Gold und Silber überzog, beseelte er gewissermaßen noch wertlose Mitbringsel.
In Marrakesch erwarb er Knöpfe, Fäden, Hölzer, Seilstücke, Bleche oder Tonscherben, in der Altstadt von Tanger Kelims, Keramiken, Gläser, Tücher oder Schuhwerk; von Mallorca brachte er allerlei Zivilisationsmüll, Konservenbüchsen, Autoreifen und Türbeschläge, mit. Die Natur diente als Materialreservoir, aus der sich Eukalyptusblätter, Baumstämme, Wurzeln, Schne- ckenhäuser, Rosenblätter, Steine, Sand und Federn beziehen ließen. Was Michael Buthe, den Harald Szeemann 1972 zur legendären documenta 5 nach Kassel einlud, auch anfasste, es erfuhr dank seiner Spontaneität Verwandlung ins exotisch Fremde und Ornamentale.
Seinen Makro- und Mikrokosmos versah er mit den ewig gleichen elementaren Zeichen: kreis- und zylinderförmigen Spiralen, Sternen, Monden, Scheiben und Punkten. Inspiriert von der Fetischkunst Nordafrikas, orientalischen Märchenvorlagen und der ägyptischen Mythologie, entstand ein von Riten, Kulten und Mythen gespeister Kosmos, der sich planer be- grifflicher Deutung entzieht.
Gewiss nun kein Zufall, dass er abwechselnd in Köln und Marrakesch verweilte. Marokko entdeckte er für sich, nachdem ihm eine Freundin von ihrer Reise durch die Sahara erzählt hatte. Als zweite Heimat stellte die große Oase den Ausgleich her zu dem, was Buthe, der auch an der Düsseldorfer Kunstakademie lehrte, in Europa vermisste. Von »anderen Bewusstseinszuständen«, berichtete Buthe seinem Gast. »Was mir dort so gefällt, ist, wie direkt die Menschen sich ansehen. Sie lesen aus den Augen ihres Gegenübers wie Weissager aus den Linien der Hände. Es gibt keine Ausflüchte.«
Überwältigt von der Stadt, erzählt er, würde er durch die schon von Delacroix aquarellierten Gassen wandern. Die intensiv gefärbten Wollstränge in der Färbergasse faszinierten ihn. Er suchte nachzuvollziehen, wie sie gemischt und Stoffe gedarbt wurden, und ließ sich von einem Meister in das Handwerk einweihen.
Szeemann hat auf Buthe den Begriff der »individuellen Mythologien« angewendet. Letztlich ist ihm freilich damit nicht beizukommen. Der Künstler besaß offene Sinne für fremde Kulturen, vertiefte sich in islamische Mystik, die Lehren des Sufismus, in Texte der vergleichenden Religionswissenschaften, Philosophie und Psychologie. Doch am wichtigsten blieb ihm das Unterwegssein. Es hielt ihn lebendig. Zuletzt, ab 1991, nachdem er sein Haus in Marrakesch geräumt hatte, ließ Buthe sich – den Maler Mirò vor Augen – von der Ländlichkeit Mallorcas inspirieren.
Michael Buthe – »Der Engel und sein Schatten«, bis 29. November 2009, Bahnhof Rolandseck; www.arpmuseum.org.