Haltern: Imperium
// Die Frage, wo denn die »Schlacht am Teutoburger Wald« stattgefunden habe, sieht man im Halterner Römermuseum entspannt. Nicht mal Heimatforscher behaupten, dass es hier gewesen sei, doch dass Haltern ein wichtiges Militärlager und in jenem Jahr 9 n. Chr. auf dem Sprung zum Verwaltungszentrum einer rechtsrheinischen Provinz Germanien war, ist unstrittig. Museumsleiter Rudolf Aßkamp ist überdies »ganz sicher, dass Varus hier war«, denn in Haltern war »seine« XIX. Legion stationiert. Grund genug, dort die Person des gescheiterten Heerführers vor dem Hintergrund des Imperiums zu beleuchten.
Das Römermuseum selbst war für die Präsentation zu klein. Statt dessen installierte man »Imperium« in der örtlichen Mehrzweckhalle. Deren banale Architektur jedoch ist in Minuten vergessen – so suggestiv ist der Aufstieg Roms zum augusteischen Imperium inszeniert. Am Beginn stehen gespielte Szenen aus dem römischen Senat: Dort ist eben die Nachricht von Varus’ Niederlage eingetroffen. Dann Rückblende zu den mythisch verklärten Ursprüngen Roms, auf die sich auch die Familie des Publius Quinctilius Varus bezog. Strahlender Glanz überflutet die zweite Station: »Das goldene Zeitalter – Kunst und Kultur zur Zeit des Augustus«, inszeniert mit goldenem Licht hinter transparenten Wänden, mit Reliefs und Fresken, Prunkgefäßen und einer Statue: Apollo, Augustus’ Schutzgott.
Der Raum »Zementierte Macht« wird überwölbt von einem Sternenhimmel – in der Konstellation des 9. Januar im Jahre 9: An jenem Tag wurde in Rom der »Friedensaltar« eingeweiht, der die Zeit als »Pax Romana« propagandistisch glorifizieren half – übrigens als Varus zusammen mit Tiberius den Konsulat in Rom bekleidete, das offiziell höchste Amt im Staat. Die Verwaltung des ausgreifenden Imperiums und schließlich die Situation in Germanien sind letzte Stationen des Rundgangs. Überall eingewebt: die Karriere des Varus, stets im engsten Kreis des Herrschers.
Fast 2.000 Jahre lang, sagt Rudolf Aßkamp, hätten Historiker ein negatives Bild von Varus gezeichnet – Sündenbock für die Katastrophe. Wie wenig das Bild vom phlegmatischen, arroganten, halt- und ahnungslosen Militär zutrifft, so Aßkamp, sei ihm selbst beim Vorbereiten der Ausstellung mehr als zuvor deutlich geworden. 15 v. Chr. kommt Varus als Soldat erstmals nach »Deutschland« – und zwar siegreich. Im Alpenfeldzug kommandiert er als legatus Augusti pro praetore die XIX. Legion. In den Resten eines Römerlagers bei Dangstetten (Baden) fand sich eine gelochte Blechscheibe – der Gepäckanhänger eines Sklaven. Lange unerkannt gebliebene Einritzungen zeigen, dass der Mann Eigentum des P.Q.Vari war, legatus legionis XIX. In Haltern ist die kleine Scheibe zu sehen. Auch aus seiner Zeit als Prokonsul in Africa gibt es Münzen mit Abbildungen von Varus. Die Umstände sprechen dafür, dass die Profildarstellung realistisch war. Sie war jedenfalls nicht schmeichelhaft. Varuskritiker lasen dann aus dickem Hals, Adamsapfel, wulstigen Lippen und »blödem Zug um den Mund« das Bild eines degenerierten Trottels. Für die Ausstellung hat das Landeskriminalamt aus dem Profil ein frontales Phantombild erstellt; es lässt eher die eifernden Kritiker blöd ausschauen.
In Syrien bekleidet Varus einen Statthalter-Posten mit noch höherem Prestige. Als im benachbarten Judäa König Herodes stirbt, lässt Varus die Unruhen in dem Satellitenstaat niederschlagen und 2.000 Aufständische kreuzigen, ehe er Syrien 4 v. Chr. verlässt. Statt christliche Geschichte zu schreiben, trifft Varus elf Jahre später in Germanien ein. Auch dort soll er für Ordnung sorgen – und schreibt »deutsche Geschichte«.
Was ihm bevorsteht, wird in der Halterner Ausstellung nur gestreift: Im eigentlichen Römermuseum marschiert seine ganze Armee, 15.000 Mann stark, mit ihm an der Spitze in den Untergang. Was sich da als 220 Meter langer Lindwurm durchs Museum windet, sind hochgerüstete Playmobil-Figuren. Niedlich, ja. Und doch lassen sie die Dimensionen des tatsächlich 15 Kilometer langen Zuges erahnen – und des Gemetzels, dem die Soldaten irgendwo zwischen Weser und Lippe erlagen.
Beuteteilung © Varusschlacht im Osnabrücker Land GmbH. Museum und Park Kalkriese
Kalkriese: Konflikt
Überall um Bramsche-Kalkriese stehen offizielle gelbe Verkehrsschilder mit der Richtungsangabe »Varusschlacht« – so, als sei die noch im Gange. Wäre das wilde Germanien so schön beschildert gewesen, dann hätte Varus womöglich noch rechtzeitig umkehren und seinem schmählichen Ende entrinnen können … Jedenfalls will man in Kalkriese keinen Zweifel daran lassen, dass man bei den Ausgrabungen seit 1987 tatsächlich das wahre Schlachtfeld gefunden hat – da, wo auch Theodor Mommsen es schon vermutet hatte.
Rechts Wald, davor die lärmend marschierenden Römer. Links auch Wald – aber ruhig und menschenleer. Nur wer genau hinsieht, erkennt hinter Bäumen germanische Krieger hervorlugen: Entree zur neu gestalteten Dauerausstellung des Museums. In deren Zentrum steht die Schlacht selbst, jener Hinterhalt, in den Cheruskerfürst Arminius Varus auf dem Rückweg ins rheinische Winterquartier lockte: Eine List, die nur aufgehen konnte, weil Arminius als Anführer germanischer Hilfstruppen das Vertrauen seines Chefs Varus genoss. Neben dem Gemetzel bilden die Ausgrabungen den zweiten Schwerpunkt.
»Konflikt«, die Kalkrieser Sonderausstellung der Trilogie, befasst sich mit der Zeit nach der Varusschlacht. Denn der Konflikt war ja nicht beendet; nicht einmal, als die Römer ihre rechtsrheinische Offensive 17 n. Chr. aufgaben. Jahrhunderte kämpften die germanischen Stämme weiter, auch untereinander. Ein »Volk in Waffen« waren sie dennoch nicht. Nicht jeder Mann war ein Kämpfer, Krieg nicht Lebensmittelpunkt. Dafür seien zu wenig Waffen als Grabbeigaben gefunden worden, heißt es in der Ausstellung. Andererseits: Ihre Ausfälle gegen die Römer waren von einer Art, die einem diese Germanen schon unheimlich macht. Dabei hatte ihre Grausamkeit durchaus Entsprechungen auf römischer Seite. Verblüffend ist das beschränkte Ziel dieser Einfälle: nicht Konsolidierung eines Staates, nicht Besiedlung fremder Erde, sondern – Beute. Hinter Vitrinenglas ist eine ganze Wagenladung Hausrat zu sehen: aus dem Rhein geborgener »Barbarenschatz«. Dabei scheint das Gerümpel nur als Futter für Schmelzöfen oder als Grabbeigabe interessiert zu haben, selbst Wertvolles wurde einfach zertrennt wie der Silberteller mit Hakenkreuz.
Zwar litten die Römer einerseits unter den germanischen Kriegern, doch schätzten sie die militärischen Qualitäten ihrer Gegner so sehr, dass sie immer mehr als Söldner in römische Dienste übernahmen. Im 4. Jahrhundert war die Hälfte aller römischen Generäle germanischer Herkunft. Zu Roms Stärke trug das nicht bei. Umgekehrt wurden hochrangige Söldner zu Trägern der entstehenden Barbarenreiche – in Kalkriese symbolisiert durch die prächtigen Grabbeigaben des Merowingers Childerich, in Personalunion fränkischer König und Kommandant der römischen Provinz Belgica secunda.
Als im Jahr 9 n. Chr. die Leichen der Varusarmee verwesten, waren die Römer noch nicht über den Rhein getrieben, geschweige denn aus Germanien hinaus. Arminius’ Allianz aber zerfiel, und die viel später entstehenden Reiche auf germanischem Boden hatten den Hautgôut der Kollabo- ration mit dem welschen Feind. Vom Sieg und Ruhm des »deutschen Freiheitskämpfers« Arminius bleibt angesichts dieser nüchternen Präsentation wenig übrig.
Spielzeuglegionäre des Varus © Foto: LWL-Medienzentrum/Sagurn
Detmold: Mythos
Wie der Heldenmythos entstand, wird in Detmold gezeigt, wo man die Schlacht früher vermutet hatte, als Arminius Hermann hieß und die Schlacht noch ihm gehörte: Hermannsschlacht. Man erfährt zunächst, wie die Römer den Grund zur Legende legten. Denn was man später über die Germanen und Arminius zu wissen glaubte, geht durchweg auf römische Quellen zurück. Deren Darstellungen indes verlangen nach kritischer Interpretation; gerade die Schilderung Arminius’ als Held und »Befreier Germaniens« hat den Hintergrund, dass Rom den Sieger überlebensgroß malte, um eigenes Versagen zu erklären. Wie dringend aber im 19. Jahrhundert der Wunsch war, in römischen Zeugnissen germanische Helden zu erbli-cken, zeigt die Ausstellung mit Skulpturen: Die »Statue einer trauernden Barbarin« etwa wurde als Thusnelda gedeutet, Arminius’ Ehefrau. Dabei handelte es sich um eine Dakerin aus dem heutigen Rumänien.
Der lange Weg in den Hermannskult: Tacitus schildert Arminius in seinen 1455 und 1507 wiederentdeckten Schriften als Befreier Germaniens. Die falsche Identifikation der geschilderten »Germanen« als Vorfahren der Deutschen bietet Anlass für stolze Blicke auf die vermeintlich eigene Geschichte. Ulrich von Hutten preist Arminius als größten Heerführer der Antike. Der Geschichtsschreiber Johannes Aventinus (1477–1534) macht ihn zu »Erman«; Luther ergänzt zu »Hermann«. Einer Zwischenkarriere als unpolitischer Held auf europäischen Bühnen folgt Armins Re-Germanisierung mit antifranzösischer Stoßrichtung. 1808 schreibt Kleist seine »Hermannsschlacht«. Eine Vielzahl von Büchern und Schlachtengemälden schwillt zu einer patriotischen Flut, aus der das von 1838 bis 1875 erbaute Hermannsdenkmal auf der Grotenburg bei Detmold herausragt. 26,57 Meter misst dieser Hermann, einschließlich des gen Westen gereckten, sieben Meter langen Schwertes mit der Aufschrift »Deutsche Einigkeit, meine Stärke – Meine Stärke, Deutschlands Macht.« Mehr Hermann-Begeisterung gab es nicht als in jenen Jahren, da Frankreich geschlagen war und mit der kleindeutschen Einheit Hermanns Werk vollendet schien.
Natürlich leistete Hermann 1914 bis 1918 Kriegsdienst, wobei seine Figur zunehmend mit der des Siegfried vermischt wurde. Hermann war gegen den Versailler Vertrag und gegen Sozialdemokraten. Auch die Nazis bedienten sich seiner, allerdings halbherzig. Nach 1945 galt er trotzdem als Mitläufer und wurde zu Folklore reduziert. Meist trat er wieder korrekt unter dem alten Namen Arminius auf. Warum ihm terminologisch jetzt auch die Schlacht genommen und seinem unterlegenen Widersacher Varus zugeschanzt wurde, bleibt in der Ausstellung ein wenig offen. Politische Korrektheit? Vielleicht hat Arminius’ Entzauberung zu dem Schluss geführt, dass sein Sieg kleiner war als Varus’ Niederlage.
Nur bei Detmold reckt der sonst abgerüstete Hermann noch das Schwert in den Himmel. Dass Detmold Hermannsland bleibt, war an der Volksfest-Stimmung zur Ausstellungseröffnung zu spüren. Klar ist auch, dass man dem Status als Austragungsort der Schlacht nachtrauert: »Kalk-riese wird mit großem Marketingaufwand im Gedächtnis der Menschen als Ort der Varusschlacht verankert«, heißt es in der Ausstellung maliziös. Vae Victis! Hermann müsste sein Schwert nur wenig nördlicher richten: Dann zeigt es nach Kalkriese. //
Phantombild des Varus © LKA NRW
Imperium Konflikt Mythos, bis 25. Oktober 2009. Seestadthalle, Lippspieker 25, Haltern. Tel.: 02364/9376-38 Museum und Park Kalkriese, Venner Str. 69, Bramsche-Kalkriese.Tel.: 05468/9204-200 Lippisches Landesmuseum, Ameide 4, Detmold.Tel.: 05231 / 9925-409.