INTERVIEW: ULRICH DEUTER
Miriam und Johannes sind aus dem Ausland nach Deutschland zurückgekehrt und haben etwas zu rasch eine frei gewordene Wohnung gekauft; der Chefarzt Harald und seine Frau Silke, die Psychologin Gaby und ihr Mann Pitt wohnen schon lange dort – Lutz Hübners neues Stück »Geisterfahrer« zeigt drei Paare mittleren Alters in einem gemeinsam bewohnten Haus. Bereits nach wenigen Sätzen sind die Personen umrissen, ist die Problematik klar: Die desillusionierten Träume der Neuen treffen auf die ermüdeten Hoffnungen der Altbewohner, unbeholfenes Begehren, rüde Freundschaftsversuche, der Wunsch, ein Stückchen gegen die Fahrtrichtung zu leben, endet im Zusammenstoß. Denn die Fahrtrichtung heißt: wachsende Erschöpfung. Ihr Ziel: Ende des Lebenstraums.
»Geisterfahrer« ist Lutz Hübners 30. Stück und das erste, das zu den Mülheimer »stücken« eingeladen wurde. Hübner, 1964 in Heilbronn geboren, in Berlin lebend, gelernter Schauspieler, ist ein Autor von schnellen, der Aktualität verpflichteten Gebrauchsschauspielen – positiv ausgedrückt: Seine Dramen sind erfrischend frei von Metaphysik und Ideologie und balancieren treffende Sozialkritik mit nicht geringer Komik.
K.WEST: Herr Hübner, Sie sind einer der meistgespielten Bühnenautoren in Deutschland. Dennoch wurde noch nie ein Stück von Ihnen für die Mülheimer Theatertage ausgewählt. Was vermuten Sie: Warum bisher nicht und warum jetzt?
HÜBNER: Ja, das kam schon überraschend. Fünfzehn Jahre schreibt man gemütlich vor sich hin und plötzlich wird man eingeladen. Ich denke, es hat damit zu tun, das ich als Autor von Jugendtheaterstücken und Komödien wahrgenommen werde, und als solcher gilt man in Deutschland als nicht satisfaktionsfähig. Wenn es nun aber eine Bereitschaft geben sollte, sich mit meinen Stücken auseinanderzusetzen, freut mich das natürlich.
K.WEST: Ihre Stücke behandeln eine immer sehr unterschiedliche Thematik und spielen in unterschiedlichen sozialen Milieus. Was ist für Sie das Immerwiederkehrende in Ihren Stücken – oder gibt es das gar nicht?
HÜBNER: Der Rote Faden der Stücke ist, dass es nur um Geschichten und Figuren geht, die mich interessieren. Was die Stücke verbindet, kann ich auch nur vermuten, vielleicht, dass mich interessiert, wie Menschen um Ihre Würde und Anerkennung kämpfen und in schwierigen Situationen versuchen, ihre Weltsicht zu behaupten. Aber das ist letztlich wohl das Thema aller Theaterstücke.
K.WEST: Der aktuellen deutschen Dramatik wird von der Kritik oft vorgeworfen, sie bringe Kunstfiguren und keine Menschen auf die Bühne. Somit reagiere das Theater nur sehr verdreht auf die Probleme der Gesellschaft. Andererseits werden Stücke wie Ihre in den überregionalen Feuilletons deutlich weniger intensiv wahrgenommen oder gar als oberflächlich abgewertet. Was sagen Sie dazu?
HÜBNER: Ich glaube, es gibt im Edelfeuilleton das Vorurteil, dass ein gut gebautes Stück, das ohne Einführungsseminar zu verstehen ist, einfacher zu schreiben ist als theoriegesättigte Textsteinbrüche. »Tiefe ist einfach, die Oberfläche ist die Kunst« hat Oscar Wilde gesagt. Handwerk ist in Deutschland negativ besetzt, es gibt immer noch die spätbürgerliche Sehnsucht nach dem Genialischen, der schmerzhaften und anstrengenden Geburt neuer Erkenntnisse auf der Bühne. Erfolg beim Publikum gilt als leicht anrüchig, vielleicht auch, weil das Feuilleton da als Vermittlungsinstanz nicht so gefordert ist.
K.WEST: Finden Sie die neue Dramatik in Deutschland nicht auch oft viel zu bedeutungshubernd?
HÜBNER: Ein Science-Fictionautor, der gefragt wur-de, warum 95 Prozent aller Science-Fiction-Ro-mane Schrott sind, antwortete, dass 95 Prozent von allem Schrott sind. Diese Formel trifft sicher auch auf uns deutsche Dramatiker zu.
K.WEST: Was muss ein zeitgenössisches Drama Ihrer Meinung nach leisten? Wann ist es gelungen?
HÜBNER: Ein Stück ist gelungen, wenn die Zuschauer nach der Vorstellung vom Gesehenen berührt sind und eine Verbindung zu ihrem eigenen Leben herstellen können. Ein Stück muss ein Kommentar zu Leben und Gesellschaft zu genau dem Zeitpunkt seiner Präsentation sein. Inwieweit das Stück über den Moment hinaus gültig ist, spielt keine Rolle. Was Bestand hat, entscheidet die Ewigkeit normalerweise allein. Nichts schlimmer als Stücke, die nur endgültige und überzeitliche Aussage formulieren wollen. Krieg ist böse, der Mensch ist schlecht, Liebe ist eine Fiktion … das nickt man in gepflegter Betroffenheit ab und vergisst es sofort. Ein Stück ist dann gelungen, wenn sich der Zuschauer auf irgendeine Weise ertappt fühlt.
K.WEST: Spielt die Kategorie der Aktualität für Sie beim Schreiben eine Rolle und wenn ja, wann ist ein Drama aktuell?
HÜBNER: Aktualität versteht sich von selbst, wir alle hören dieselben Nachrichten, leben in derselben Gesellschaft und spüren ihre Veränderungen. Ich schreibe aus meinem Alltag und allem, was mich beschäftigt und ich gehe davon aus, dass sich das nicht sonderlich von dem unterscheidet, was andere bewegt. Das bedeutet nicht, dass man die Schlagzeilen nach möglichen Themen durchforstet, sondern mit einer Offenheit auf das Alltagsleben zugeht. Stücke, die nur auf Stücke und literarische Moden reagieren, sind letztlich l’art pour l’art.
K.WEST: Besitzt das Theater die Fähigkeit, Erkenntnisse zu vermitteln? Oder war das mal?
HÜBNER: Ich habe den naiven Glauben, dass Theater Erkenntnisse vermitteln kann.
K.WEST: Welche Rolle spielt für Sie die Komik?
HÜBNER: Ich werde im Theater immer unruhig, wenn ernste Menschen in aussichtslosen Situationen tragisch untergehen. Ich habe immer das Gefühl, ich soll eingeschüchtert werden. Komik gibt dem Zuschauer die Freiheit, die Tragik aushalten zu können oder sich überhaupt auf sie einlassen zu können.
K.WEST: Sie schreiben sehr oft Stücke für Jugendliche. Warum tun Sie dies und wie unterscheiden sich diese Stücke von den anderen?
HÜBNER: Jugendliche sind ein anstrengendes und wunderbares Publikum, sie falten nicht schwer atmend das Programmheft, wenn sie sich langweilen, sondern machen Radau. Wenn Sie aber bei der Sache sind, steigen sie emotional total ein und diese Erfahrung möchte ich nicht missen, sie ist eine große Herausforderung. Darüber hinaus ist Jugendtheater eine der wenigen Nischen, in denen sich Jugendliche über sich verständigen können, über das Leben, Ängste, Träume und die Gesellschaft, in der sie leben. Es gibt kaum ein anderes Medium dafür.
K.WEST: Wem wünschen Sie, außer Ihrem eigenen Stück, den diesjährigen Mülheimer Theaterpreis?
HÜBNER: Allen natürlich, es gibt so wenige Gemeinschaftserlebnisse mit Autorenkollegen, da wäre das doch mal eine schöne Gelegenheit.
Die anderen zu den diesjährigen Mülheimer Theatertagen geladenen Stücke sind:
• »Die goldenen letzten Jahre« von Sibylle Berg (Inszenierung des Theaters Bonn)
• »Kritische Masse« von Oliver Bukowski (Deutsches Schauspielhaus Hamburg)
• »Rechnitz (Der Würgeengel)« von Elfriede Jelinek (Münchner Kammerspiele)
• »Fantasma« von René Pollesch (Burgtheater Wien, Akademietheater)
• »Hier und Jetzt« von Roland Schimmelpfennig (Schauspielhaus Zürich)
• »Privatleben« von Ulrike Syha (Theater Chemnitz)
Die »stücke« dauern vom 15. Mai bis 2. Juni. Zum Abschluss wird der mit 15.000 Euro dotierte Mülheimer Theaterpreis verliehen. www.stuecke.de