// Ehre, Treue, Ruhm, Freundschaft – ein Mann, ein Wort: Dieser Tugendkatalog ist nichts mehr wert, wenn die Lyrik der Liebe ihr bindendes Gebot dagegen hält und die Forderung des Tages am Naturgesetz der Nacht aufläuft. Die Farben auf der Bühne des Wuppertaler Opernhauses zerfließen, obwohl das ein viel zu grobes Wort ist für die in diffusem Dunst sich entmaterialisierende Blues-Orgie, die Wagners endless love von »Tristan und Isolde« beleuchtet. Die Reise nach Cornwall wird zur Fahrt ins Blaue für das Paar; das grüne Leuchten des Gartens im Zweiten Aufzug changiert ebenfalls ins Bläuliche, durchschimmert von Rottönen, die Isoldes Kleider zu reflektieren scheinen, wenn die stolze herrische hochfahrende Frau zur Hohepriesterin ihrer Passion wird, besiegelt von einem goldenen Lichtring. Die Abstraktion der nur andeutungsweise räumlich gestaffelten und von einer Gazewand gegliederten Bühne (Roland Aeschlimann) sucht das Musikdrama in den fernen Schichten des Unbewussten, löst es atmosphärisch auf, lässt es gewissermaßen stille stehen und im statuarischen Zeremoniell arretieren. Die entrückte Reduktion, die Gerd Leo Kucks Inszenierung sich vornimmt, hätte indes noch konsequenter ausfallen können und sich sogar verbieten dürfen, die »Nachtgeweihten« überhaupt in die körperliche Begegnung zu führen (wie Heiner Müllers Bayreuther »Tristan« in aller Distanz vorgemacht hat). Denn liegt in der absoluten Vereinigung nicht schon deren Aufhebung? Schwindet die Individualität nicht eben dort, wo sie sich innigst manifestiert: im Liebesvollzug, der Ich und Du nivelliert?
Die Kultivierung der szenischen minimal art findet hier ihre Vorbilder in japanischer Krieger-Kultur: Tristan als »The last Samurai«, Marke als Kurosawa-King und die Damen Isolde und Brangäne schreitend in üppig gesteiften oder lose gefälteten Gewändern (Andrea Schmidt-Futterer). Musikalisch setzt sich, in breit hinströmendem Klang, die suggestive Stimmung unter Leitung von Toshiyuki Kamioka durchaus fort, sängerisch nur zur Hälfte: Marion Ammanns lyrisch warme, tiefgründige und herrlich entflammbare Isolde dominiert grandios die Aufführung, während John Uhlenhopp als Tristan wenig Glanz entwickelt und viel Anstrengung aufbieten muss, die Brangäne der Anette Bod sich schartig singt, Gregory Reinhart wiederum in der Partie des Marke stimmlich souverän Präsenz behauptet. Mit Markes höfischer Gegenwelt bricht die weiße Wirklichkeit in das verschattete Tristan- und dunkelblaue Isolde-Reich der Sinne. // AWI