// »Ja, die Seele … ist ein weites Land, wie ein Dichter es einmal ausdrückte.« Sagt Dr. Aigner. Er ist mal, nachdem seine Frau ihn verlassen, weil er sie betrogen hatte, auf einen hohen Berg gestiegen. Aber natürlich heil wieder heruntergekommen. Jetzt ist er Direktor eines Hotels. Ist die Höflichkeit und Zurückhaltung in Person. Und die wohlbeleibte Unberührbarkeit. Seele hat man, man ist ja kultiviert. Hat man wie seine Stellung, seine Boni, seine Frauen und den ganzen anderen gesellschaftlichen Besitz. Bei Aigner (Felix Vörtler) nicht anders als bei Fabrikant Hofreiter (Burghart Klaußner) und Bankier Natter (Johann von Bülow). So eine Seele aber, die hat Flügel. Und weil sie sich in kultivierten Zeiten nicht mehr in schlecht temperierte Geisteshöhen aufschwingen mag, flattert sie so sehnsuchts- wie planvoll ins warme Nachbarbett. Oberflächlich gesehen ist Schnitzlers »Tragikomödie« von 1911 ein zynisch-heiterer, müd-schmerzlicher Reigen von Seitensprüngen. Darunter aber zeigt sie eine Gesellschaft, die im Nutzdenken und im gesellschaftlichen Komment wie im Eise erstarrt ist – Liebe, Sex: nur Spielerei und Unterhaltung, wie Hofreiters Gattin Genia (Catrin Striebeck) spät erkennt.
Die Gesellschaft sind wir, immer noch. Sagt Dieter Giesing, der »Das weite Land« jetzt in Bochum inszeniert hat. Und unsere Seele hat nicht mal mehr Flügel, sondern ist ein High-End-Maschinchen, so dass Geschäft, Begehren, Freundschaft und Tennisspiel reibungslos abgearbeitet werden. Keiner verliert (na gut, zwei sterben), keiner leidet wirklich, alle bleiben obenauf: das Bonus-System. Und dieses System zeigt Giesing so unterkühlt perfekt, dass es schon anrüchig ist. Hofreiters Spezi Mauer (Markus Boysen): ein lautlos rollendes Wägelchen der Freundschaft. Aigners Ex-Frau Meinhold (Ulli Maier): ein Pop-up der Abgeklärtheit. Und Klaußners Hofreiter: eine Mischung aus kleinem Jungen und Macchiavelli, Gockel und Potentat. Die Temperatur liegt bei 4°. Kühlschranktemperatur. // UDE