// Ein Flugschreiber sammelt relevante Daten und speichert sie, um sie bei einem Absturz auszuwerten. »Black Box« aber sagt, dass eine exakte Aufzeichnung nicht möglich ist: weder die private Chronik, noch der Status quo Israels in seinen politischen, religiösen und sozialen Belangen. Die Extremzustände von ein paar Familien-Menschen bilden auch den Extremzustand des Landes ab, indem sie von Scham und Schuld, Triebverzicht und Gewaltausbrüchen handeln. Amos Oz’ »Black Box« ist ein vertrackter Familien-, Ehe-, Erziehungs-, Entwicklungs- und Gesellschaftsroman, was bei diesen Genres häufig bedeutet ein Anti-Ehe-, Anti-Familienroman etc. – sowie, bei Amos Oz nicht selten, eine erotische Phantasie. Zunächst aber ist es ein Briefroman – geschrieben 1987 mit Pathos, Ironie, Sarkasmus und scharfem Witz, mal ausschweifend und in blumig biblischer Sprache, dann wieder im Telegrammstil – und damit eine literarisch spröde Konstruktion, die einem hier recht ausgedacht vorkommt, weil anders als etwa zu Werthers Zeiten die Briefkultur zu Gunsten einfacherer, schnellerer Kommunikationswege längst aufgegeben wurde.
Die Geschehnisse ereignen sich zu exakt bestimmten Daten des Jahres 1976. Ilana lebt im Zorn geschieden von dem steinreichen, in den USA lebenden und lehrenden Alek Gideon, einem ehemaligen Offizier, berühmten Wissenschaftler und (wie sein Autor) »Experten in vergleichendem Fanatismus«, der pathologisch eifersüchtig und zudem todkrank ist. Mittlerweile verheiratet mit dem aus Algerien stammenden Michel Sommo, einem orthodox frommen Schlawiner, sendet Ilana ein SOS an ihren Ex. Sie haben einen gemeinsamen Sohn, den Alek bislang nicht anerkannt hat. Für den 16-jährigen Boas, Sorgenkind und renitenter Rabauke, erbittet der gefinkelte Stiefvater den leiblichen Vater um finanzielle Hilfe.
Wie im klassischen Erziehungsroman streiten sich zwei Prinzipien und Lehrer um einen Novizen, der dann seinen eigenen, dritten Weg findet. Auf der einen Seite also der weltläufige liberale Exiljude, der den Glauben für die Ratio abgelegt hat; auf der anderen Seite der glühende Zionist, der sich nicht schämt, von dem Rivalen Geld zu erbetteln, der ein Großisrael propagiert, die Araber für minderwertig hält und deren Exodus erkaufen will. Dazwischen als angry young man der ungestüme, ungefestigte Boas, zwar ein orthografisches Mängelwesen, jedoch das wandelnde Toleranzedikt, Freigeist, antifundamentalistisch, Gründer einer Kommune, die nicht wie das autoritäre Kibbuz-System funktioniert. Boas vertritt eine schlichte Utopie in einer lebbaren, ideologiefreien Zone – gegen Maximalforderungen, Anmaßung, Erlösungswahn und absolute Heilserwartung.
Amélie Niermeyers gelungene Inszenierung richtet sich ein im Provisorium und erfasst damit den Geist der hoch entzündlichen Erzählung und das Essayistische dieses Romans der Debatte. Das Leben ist eine Baustelle, ein ambulanter Zustand, der sich im Kleinen Düsseldorfer Schauspielhaus während 100 Minuten im Verstreichen von Estrich auf dem Bühnenboden zeigt. Aufgelöst im Simultanen und im Verzicht auf lineare Chronologie schichtet die besonders mit Meriam Abbas (Ilana) und Rainer Galke (Sommo) treffend besetzte Aufführung die narrativen Ebenen und bewegt sich sprunghaft vor und zurück, um sanft zu enden im Kontemplativen. // AWI