Interview: Bettina Trouwborst
// Heinz Spoerli erhält am 21. März im Aalto-Theater den Deutschen Tanzpreis 2009 für sein Lebenswerk. Der Schweizer, der sich selbst als Tanzmacher bezeichnet, gehört zu den bedeutendsten Choreografen der Zeit. Spoerli (68) leitet seit 1996 das Zürcher Ballett, zuvor war er Ballettdirektor der Deutschen Oper am Rhein. Das Zürcher Ballett gastiert im Juni in Köln, die Juniorkompanie, Spoerlis bestaunenswerter Nachwuchs, ist am 24. März bei den Neusser Tanzwochen zu sehen. //
K.WEST: Herr Spoerli, anders als die meisten Preisträger leben und arbeiten Sie außerhalb Deutschlands. Ist diese Auszeichnung eine besondere Ehre für Sie?
SPOERLI: Es ist eine große Ehre, denn es ist ein sehr wichtiger Preis. Tanz ist international, er kennt keine Sprachgrenzen. Ich habe fünf Jahre in Deutschland gelebt und habe oft in Stuttgart und Berlin gearbeitet.
K.WEST: Von 1991 bis 1996 leiteten Sie das Ballett der Deutschen Oper am Rhein. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?
SPOERLI: Sehr fruchtbar. Choreografisch war es eine spannende Zeit. Ballette wie die »Goldberg-Variationen« und »Sommernachtstraum« sind hier entstanden. Es machte viel Freude. Aber es war auch ein schwieriger Übergang nach Paolo Bortoluzzi im Nachhang der Walter-Ära. Erich Walter war ein großer Choreograf und wurde in Düsseldorf sehr verehrt. In eine neue Ära zu gehen, ist nie einfach.
K.WEST: Sie verließen Düsseldorf, um an die Zürcher Oper zu wechseln. Dort haben Sie das Ballett zu einem der führenden Ensembles Europas aufgebaut. Täuscht der Eindruck, dass Sie in jüngster Zeit aber international weniger präsent sind?
SPOERLI: Nicht ganz. Die Ballettlandschaft hat sich verändert. Es gibt nicht mehr viele Kompanien, die einladen. Die meisten haben ihren eigenen Chefchoreografen. Ich mache aber immer noch jedes Jahr eine Gastchoreografie. Andererseits bin ich auch nicht mehr so offen, was am Alter und an der fehlenden Zeit liegt. Wir sind viel auf Tournee.
K.WEST: Die deutschen Theater haben keines Ihrer Ballette im Repertoire. Auch international findet man kaum Spoerlis auf den Spielplänen – das Portugiesische Nationalballett tanzte vor einigen Jahren ihren »Sommernachtstraum«. Liegt das an Ihren hohen Ansprüchen?
SPOERLI: Das ist ein Aspekt. Im Allgemeinen wollen nur wenige Kompanien ein Repertoire bewerkstelligen. Vor zwei Jahren habe ich das Ballett »Allem nah, allem fern« in Portugal gemacht. Ich habe früher viel an anderen Häusern gearbeitet, beispielsweise in Berlin und in Wien. Aber Vladimir Malakhov und Roberto Zanella konzentrieren sich nun auf ihre eigenen Sachen.
K.WEST: Hans van Manen erzählte einmal, Choreografen unterhielten sich immer über Musik. Es sei so schwierig, die geeignete Musik für ein Ballett zu finden. Das scheint für Sie nicht zu gelten. Zu ihrem Bach-Ballett »In den Winden im Nichts«, das im Juni in Köln zu sehen sein wird, merken Sie an, dass es Ihnen darum ging, Bach zu visualisieren. Ist die Musik bei Ihnen zuerst da?
SPOERLI: Fast immer. Es war auch schon mal andersrum. Bei »Farben, die mitten in die Brust leuchten« habe ich zuerst einen Artikel über den Maler Pontormo gelesen und dann mit dem Düsseldorfer Solisten Falco Kapuste eine tolle Rolle kreiert.
K.WEST: In Ihrer Anfangszeit galten Sie als der neue John Cranko, in Anspielung an das Stuttgarter Ballettwunder. Sie schufen das Baseler Ballettwunder. Sind Sie John Cranko je persönlich begegnet?
SPOERLI: In den 1960er Jahren, als ich im Ensemble der Städtischen Bühnen Kölns unter Todd Bolender tanzte, choreografierte er dort die »Händelvariationen« für neun Paare. Er war ein toller Choreograf, vor allem aber ein toller Mensch. Dialoge mit ihm waren spannend.
K.WEST: Der Vergleich mit Cranko zielte vor allem auf Ihre humoristischen Handlungsballette wie »La fille mal gardée«. Heute gibt es wenig Humor im Ballett. Woran liegt das?
SPOERLI: Die Zeiten haben sich geändert. Humor gilt heute als leichte Muse. Die Leute wollen Humor heute höchstens noch in Kurzballetten. John Crankos »Der Widerspenstigen Zähmung« wäre heute fast nicht mehr machbar. Die Leute erwarten mehr. Sie wollen es saftiger.
K.WEST: Das heißt?
SPOERLI: Die Bühne muss voll sein. Heute ist es die ganze Kompanie, die prägt, die eine Idee, ein Stück, eine Inspiration präsentiert. Es sind nicht mehr die Hauptrollen. Eine Entwicklung, die ich bedaure. Aber es gibt auch immer weniger bedeutende Solisten.
K.WEST: Wie erklären Sie sich das?
SPOERLI: Es ist schwierig geworden, eine tolle Ballerina zu finden. Bei den Männern nicht so sehr. Die Liebe zum Tanz, die Hingabe an den Beruf ist verloren gegangen. Heute hat die Frage, was eine Tänzerin macht, wenn sie 30 Jahre alt ist, eine andere Dimension gewonnen. Dabei ist eine Ballerina zwischen 26 und 35 Jahren erst reif. Früher eröffneten viele Tänzerinnen nach ihrer Bühnenzeit eine Ballettschule. Heute hören sie früher auf, um eine Familie zu gründen oder eine weitere Karriere zu planen. Selbst das Royal Ballet in London und die Pariser Oper haben Nachwuchsprobleme. Ein Wandel hat sich vollzogen.
K.WEST: Sie haben 180 Ballette geschaffen, Handlungsballette und Abstraktes, vornehmlich zu Bach und Mozart. Was choreografieren Sie lieber?
SPOERLI: Ganz einfach: Immer das nächste Ballett.
K.WEST: Ihre Nase ist berühmt für Tänzertalente. Was sind Ihre Kriterien? Balanchine-Maße?
SPOERLI: Nein. Balanchine hatte noch größere Mädchen. Es ist auch ein anderer Stil. Ich habe drei Kriterien: Die Tänzer müssen in meine Kompanie passen, Talent haben und Devotion zum Beruf. Man muss spüren, dass etwas Besonderes mit ihnen ist.
K.WEST: Die Stiftung »Foundation Heinz Spoerli« verleiht Preise an Personen und Projekte, die »einen Beitrag zur Erhaltung der Kunstform des Tanzes« leisten. Ist Tanz denn eine bedrohte Art?
SPOERLI: Nein, der Tanz geht immer weiter. Bedroht sind der Erhalt der klassischen Form und die Hervorbringung guter Tänzer. Pina Bausch wäre nie so bedeutend, wenn sie nicht so gute Tänzer hätte. Einmal muss man das ABC lernen, ob in Chinesisch, Spanisch oder Deutsch. Die Leute wollen heute schnell, in drei Jahren, Ballett lernen. Tanz ist aber eine Entwicklung über viele Jahre. Es ist wichtig, dass der Körper bei der Ausbildung keinen Schaden nimmt.
K.WEST: Bei der Tanzpreis-Gala tanzt der erste Stuttgarter Solist Marijn Rademaker die Titelrolle des Peer Gynt. Er erhält den Tanzpreis »Zukunft« 2009. Wäre er nicht auch eine Bereicherung für Zürich?
SPOERLI: Natürlich, er ist ein wunderbarer Tänzer. Aber ich respektiere, dass er in Stuttgart groß geworden ist und bin froh, dass ich ihn für die Rolle des Peer Gynt haben konnte.
K.WEST: Sie waren 18 Jahre in Basel, sind mittlerweile 13 Jahre in Zürich – Das sind sehr lange Arbeitsbeziehungen.
SPOERLI: Ich sehe ein Ende vor mir, aber ich habe auch noch viel vor. Ich möchte nicht mit 80 Jahren wie Maurice Béjart im Ballettsaal sterben. Es hängt von der Entwicklung ab, von meiner Gesundheit. 2012 wechselt die Intendanz …