// Kein Thema, kein Drumherum, noch nicht einmal ein Stückchen Stoff, das sich schamvoll über heikle Körperpartien legen könnte. Auf der Leinwand macht sich nichts als unverhüllte Schönheit breit – ganz selbstverständlich. Von rechts nach links: Schenkel, Scham, superschmale Taille, runde Brüste. 1917, als Amedeo Modigliani seine neuesten Produktionen in einer renommierten Pariser Galerie zum Besten gab, waren solch nackte Tatsachen noch gut für einen echten Skandal – mit allem, was dazu gehört: Menschenauflauf, Polizei und Anordnung der unverzüglichen Schließung. So endete Modiglianis erste Soloausstellung.
Noch immer sind es wohl vor allem jene idealen Akte, die dem breiten Publikum beim Namen Modigliani vor Augen treten. Was sicher auch an der massenhaften Reproduktion dieser extrem marktgängigen Motive liegt. Der Maler ist präsent. Dafür sorgt nicht nur die Poster- und Postkartenindustrie. Hinzu kommen Rekordmeldungen aus großen internationalen Auktionshäusern, die gerade in jüngerer Zeit die Runde machen. Auf über 30 Millionen Dollar hatte es eines seiner Gemälde zuletzt bei Chris-tie’s in New York gebracht.
Jedoch beim Blick auf museale Ausstellungsprogramme macht sich der Maler eher rar. Vielleicht zeigt sich darin auch eine gewisse Scheu seitens der Museen angesichts der gespaltenen Bewertung dieses Werkes in der Kunstwissenschaft, die Modiglianis Schaffen vereinzelt noch immer mit Vokabeln wie Kitsch oder Klischee abtut. Immerhin 17 Jahre sind seit der letzten größeren Schau in Deutschland vergangen. Ein Grund mehr für die Bonner Bundeskunsthalle, ihn noch einmal zu Ehren kommen zu lassen. Den Einzelgänger aus Italien, dessen Streben und Leistung sich eben nicht auf die allgegenwärtigen Akte beschränkt, sondern vielmehr und viel mehr in den außerordentlichen Porträts zum Ausdruck kommt. Dessen Werk mit dem zeitlichen Abstand von neun Jahrzehnten wieder interessante und auch relevante Fragen aufwirft. Vorbei sind die Zeiten, in denen man die Moderne als geradlinige und absolut logische Entwicklung ansah. Mit Modigliani eröffnet sich ein Nebenweg, was man angesichts des gegenwärtigen Pluralismus malerischer Stile und Möglichkeiten viel selbstverständlicher akzeptieren und schätzen kann als noch vor 20 Jahren.
Der Italiener schwelgte in weiblicher Blöße, als unter avantgardistischen Kollegen die traditionelle Disziplin des Aktes längst als gestrig galt. Während die Kollegen den Durchbruch zur Abstraktion schafften, vertiefte er sich weiter unbeirrt in die Physiognomien seiner Mitmenschen und drückte ihnen konsequent den eigenen formalen Stempel auf: Die einfachen Linien, der überlange Hals, die schmalen Nasen, der leere Blick. Alles Eigenheiten, die wie stilistische Markenzeichen des Malers wirken.
Wie kaum einem anderen ist es Modigliani gelungen, seinen Stil unverwechselbar zu machen. Auf den Gang der Kunstgeschichte nahm er damit allerdings kaum Einfluss – seine Wirkung auf Zeitgenossen und Nachfolger geht gegen Null.
Nun will die Bonner Ausstellung sich aber nicht mit Modiglianis Kunst allein begnügen. Anders als die Retrospektive vor 17 Jahren in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW schaut sie auch auf den Alltag des Künstlers und stellt dabei noch einmal klar, was Eingeweihten längst bekannt war. Dass nämlich Modiglianis umtriebiger, aufreibender Lebenswandel im Werk keinerlei Niederschlag findet. Das Ruhelose, die durchzechten Nächte, die Kämpfe gegen Lungenkrankheit und Geldnot – nichts davon kommt auf der Leinwand auch nur andeutungsweise zum Tragen. Im Gegenteil: Die Bildnisse und Akte wirken beinahe wie das Kontrastprogramm, der malerische Ausgleich zum Leben da draußen.
Mit Anfang 20 kam der an Antike und Renaissance geschulte Künstler aus Italien nach Paris und tauchte tief ein in die Szene der brodelnden Kunstmetropole. Die ersten Jahre dort zeigen ihn als Suchenden. Es entstand eine Reihe von Porträts, in denen seine Handschrift noch nicht ausgeprägt war. Erst nach einem ausgedehnten Ausflug in die Bildhauerei fand Modigliani um 1914 zum eigenen Stil und sofort auf die Höhe seiner Kunst. Nur mehr sechs intensive Schaffensjahre blieben ihm von da an bis zum frühen Tod mit 35 Jahren.
Modigliani porträtierte in dieser Zeit so ziemlich jeden in seiner Umgebung. Ab 1914 immer wieder die exzentrische englische Dichterin Beatrice Hastings, mit der ihn über zwei Jahre eine stürmische Liebesbeziehung verband. Später wird in Leben und Werk die junge Kunststudentin Jeanne Hébuterne ihre Stelle einnehmen. Daneben saßen ihm etliche Zeitgenossen Modell – Maler, Bildhauer, Dichter, Sammler, Kunsthändler. Diego Rivera, Pablo Picasso, Juan Gris, Jean Cocteau. Sie bleiben erkennbar, auch wenn Modigliani beim Malen mehr die Form als den Dargestellten im Auge hatte.
Das gilt auch für sein Bildnis von Max Jacob – der Maler zeigt den Dichter mit Augen, in denen die Pupillen fehlen, und einer schmalen Nase, die aussieht, als sei sie aus einem Holzbrett gehauen. In der charakteristischen Behandlung solcher Details macht sich immer wieder Picasso bemerkbar. Und natürlich sein Kubismus, der den Höhepunkt damals freilich längst überschritten hatte.
Modigliani war mittendrin. Seine Kunst stand aber immer außen vor in ihrem unbeirrten, aus damaliger Sicht anachronistischen Festhalten an den traditionellen Gattungen. Konsequent, mit formalem Kalkül widmet er sich immer nur einem – dem Menschen; und scheint dabei die strikten formalen Regeln, die er sich selbst auferlegt hatte, mit der Zeit aufzuweichen. Das strenge Gerüst macht entspannter Natürlichkeit Platz. Trotz dieser Entwicklung bleibt Modiglianis Bildsprache mit ihren wirkungsvollen gestalterischen Konstanten aber sofort erkennbar. Robert Fleck, neuer Intendant der Bundeskunsthalle, sieht Modigliani gar als ersten Künstler der Moderne, der die Verknappung seines Werkes auf wenige Parameter so konsequent exerziert habe.
Mit fatalen Folgen: Der hohe Wiedererkennungswert und der Mythos um den tragischen Einzelgänger machen die Marke Modigliani extrem anfällig für Fälschungen – schon zu Lebzeiten kamen die ersten in Umlauf und noch immer werden welche als »Originale« produziert und verkauft. Echt oder falsch? Die Frage bleibt oft offen, denn es gibt noch immer kein wirklich verbindliches Werkverzeichnis. Verdienstvoll, dass die Bonner Schau dieses Problem anspricht und in einem ausführlichen Katalogbeitrag auch die Mechanismen der Mythologisierung aufdeckt.
Unter Experten gelten heute um die 400 Bilder als echte Modiglianis. Eine ganze Menge, wenn man bedenkt, dass sie in nur rund zehn aktiven Jahren entstanden sind. Was wäre wohl passiert, hätte der Maler ein paar Jahre länger gelebt? Hätte er noch einmal etwas Neues entwickelt? Oder hatte er seine künstlerische Energie schlicht aufgebraucht – war der eingeschlagene künstlerische Weg eine Sackgasse?
Gerade im Fall Modigliani liegt dieser Verdacht nicht fern. //
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. 17. April bis 30. August 2009. Tel.: 0228/9171 200. www.bundeskunsthalle.de