// Die Apparaturen sind so zauberhaft wie ihre Namen: Thaumatrope, Anamorphosen, Wundertrommeln oder Zauberlaternen, wie sie seit dem 15. Jahrhundert in Italien, Holland, Frankreich und ab ca. 1830 auch in Deutschland in einer Mischung aus Forscher- und Jahrmarktsgeist ersonnen wurden. Sie stammen aus der medienarchäologischen Wunderkammer des Mülheimer Experimentalfilmers Werner Nekes. 200 Fundstücke aus dieser weltweit größten Sammlung zur Mediengeschichte der Moderne versammelt das Museum für Gegenwartskunst Siegen, um sie zeitgenössischen künstlerischen Positionen gegenüber zu stellen. Dabei kommt es bei manchen der Kunstwerke buchstäblich auf den Standpunkt an: So in der begehbaren Laterna Magica Sigmar Polkes, den Wunderscheiben Duchamps, oder den von den Bäumen hängenden Lochkameras, die Roland Stratmann als Straßen-Happening inszeniert hat.
Wie die Ausstellung »Blickmaschinen, oder wie Bilder entstehen. Die zeitgenössische Kunst schaut auf die Sammlung Werner Nekes« Grenzen zwischen den historischen und den künstlerischen Artefakten zum verschwimmen bringt, ist zweifellos eine ihrer Stärken. Kaleidoskope von damals, aus Schmetterlingen zusammenmontiert, finden sich neben dem riesigen Kaleidoskop Olafur Eliassons aus buntem Fieberglas. Eine Guckkastenbühne aus dem 17. Jahrhundert, in der eine Straßenflucht in 3D zu sehen ist, ist neben der »Raumkapsel« von Pipilotti Rist positioniert: einem Jugendzimmer als Puppenstube, durch die in der Mitte ein kleiner Spiegel Bilder an die Außenwände projiziert. Die Laterna Magica versetzt den Besucher durch ihre märchenhaften Bilder in tausendundeine Nacht seiner Jugend. Durch Vexier- und Kippbilder kann er wieder in die Spielräume seiner Kindheit eintauchen – und in die Zeit, als die Technik der Bilderzeugung noch in den Kinderschuhen steckte. Reizvoll ist der Umgang mit diesen Illusionsmaschinen nicht zuletzt auch deshalb, weil der Betrachter sich nur allzu gern täuschen lässt, während er die Mechanismen der Apparaturen zugleich auch durchschaut. So bekommt man immer auch sich selbst als einen Verführten in den Blick.
Die Apparate aus der Sammlung Nekes werden auch »philosophical toys« genannt. Im Spiel aus Licht und Schatten, Schärfe und Unschärfe oder bei optischen »Täuschungen« geht es ja auch um allgemeine Fragen der Wahrnehmung. Wenn es vom »Standpunkt« abhängt, was man sieht (etwa in den Lamellenbildern, die, abhängig von der Perspektive, Jesus oder Maria zeigen), hat das auch erkenntnistheoretisch etwas zu bedeuten. Was ist Original, was Fälschung?
Was ist zwischen den Bildern? Diese Grundfrage stand am Beginn von Nekes’ Sammlung. Gestoßen ist Nekes auf diese Problematik, als er 1967 daran ging, einen Film nicht nach psychologischen Gesichtspunkten der Erzählung zu montieren, sondern nach Wahrnehmungsgesichtspunkten. So hat er sich mit der Bedeutung des Schnitts auseinandergesetzt. »Ich habe festgestellt, dass ja eigentlich zwischen allen Bildern die Möglichkeit des Schnitts besteht«, sagt Nekes heute. »Das hat mich erkennen lassen, dass es schon im 17. Jahrhundert ein optisches Spielzeug gab, das Thaumatrop, die Scheibe, die in schneller Rotation den Vogel im Käfig sitzen lässt. Das war im Grunde die Initialzündung, sich zu überlegen, was es schon alles gegeben hat und was reaktiviert werden könnte für neuere Bildausdrucksmöglichkeiten.«
Nekes’ optische Geräte sind Relikte aus der Vorgeschichte unserer visuellen Kultur. Auffällig ist, wie diese Illusions- und Effektmaschinen nun immer häufiger von zeitgenössischen Künstlern wie Pipilotti Rist, Roland Stratmann oder William Kentridge wieder entdeckt werden. Es scheint, als hätte man von den glatten Oberflächen des digitalen Zeitalters genug. Neben der Arbeit mit Video, Digitalkamera und Computer gibt es offensichtlich wieder ein Interesse für das Unvollkommene, die unscharfen Ränder, das Handgemachte.
Zudem: Die alten Medien leben in den neuen fort. Das Daumenkino gehört zu den unmittelbaren Wegbereitern des Films. Überhaupt bildet der Film einen Höhepunkt dieser Entwicklung, in ihm sind viele dieser Techniken und Tricks aufgegangen: das Morphing, die Bildebenenstaffelung, Mehrfachüberblendungen oder die Bildanimation. Die Siegener Ausstellung verweist durch die Begegnung mit historischen Bildgebungsverfahren darauf, dass ein Blick in den Rückspiegel durchaus lohnenswert sein kann, wenn es darum geht, Bilder der Zukunft zu entwerfen. //
Werner Nekes übrigens wird am 29. April fünfundsechzig. Glückwunsch!
Bis zum 10. Mai 2009 im Museum für Gegenwartskunst Siegen