// Ihr Puck war ein echter Wurf. Viel zu mürrisch, um noch als Schelm durchzugehen. Entschieden zu pubertierend, um etwas von der Liebe zu verstehen. Doch mit dem pummeligen Ghetto-Kid aus dem Zauberwald ließ sich Shakespeares »Sommernachtstraum«-Zauber mühelos ins Hier und Heute übersetzen. Sarah Viktoria Frick war dieses etwas schräg in die Komödie hinein gebaute Wesen in Jeanslatzhose und Wollmütze, das die einfältigen Elfen mit dem Schlagbohrer drangsalierte und lieber mit den bösen Jungs von der Horrorfilmerfront spielt: Freddy Krueger und Leatherface.
So wie Regisseur David Bösch den Puck in seiner gefeierten Antritts-Inszenierung am Essener Grillo-Theater vor drei Jahren in den Mittelpunkt der turbulenten Geschlechterverwirrung rückte, war das ein Vorgeschmack auf das famose Zusammenspiel des Ideen sprühenden Theatermachers und seiner nicht minder phantasiebegabten Hauptdarstellerin. »Wir sprechen die gleiche Sprache«, sagt Frick. Den Humor teilt man sowieso.
Seither ist Sarah Viktoria Frick in Essen so etwas wie der Star des bundesweit gefeierten Bösch-Theaters, auch wenn sie gar nichts Divenhaftes auszeichnet, sondern burschikose Bodenständigkeit, fernab lieblicher Konfektionsschönheit. Aufmachung ist nicht ihr Ding. Zum Interview kommt sie mit einer weit übers Haar gezogenen Strickmütze, wie eine Tarnkappe, mit der es sich einfach in andere Leben hineinschleichen lässt. Die 26-Jährige schafft es, perfekte Projektionsfläche ihrer Figuren zu sein und die Borsten und Widerhaken trotzdem auszufahren.
Sie mag Figuren mit Brüchen und Widersprüchen, Seelenrissen und Herzensdellen. »Figuren, an denen was nicht stimmt«, sagt Frick. Die spielt sie mit jener selbstverständlichen, beinahe stoischen Unbedingtheit, die dem Publikum kein Entkommen gestattet. So wird jede ihre dramatischen Bühnengestalten irgendwie griffig, lebensecht. Kleists Käthchen ebenso wie die Antigone des Sophokles – rebellische Heldinnen, bei denen man das Klischee von weiblicher Sanftheit, Herzenswärme und Demut getrost überdenken darf. Denn Frick trotzt ihren tragischen Figuren immer auch ein Stück widerspenstiger Prägung ab, stülpt es manchmal nach außen mit druckvoller Körperlichkeit, hinter der sich doch Zartheit und Sensibilität verbergen. Das »liebe Mädchen« spielt sie ungern, obschon ihr vornehmlich dem Weiblichen zugeordnete Charakterzüge wie Harmonieverlangen und Anerkennungsbedürfnis nicht ganz fremd sind.
Etwas oder jemanden zu verlassen ist für sie dagegen eine schwierige Sache – und doch nach dann vier furiosen Grillo-Jahren für die gebürtige Liechtensteinerin im kommenden Sommer Zeit zum Abschiednehmen. Sarah Viktoria Frick wechselt ans Wiener Burgtheater. Matthias Hartmann wird ihr neuer Chef sein, der lange schon ein Auge auf David Bösch geworfen, ihn noch in Bochum präsentiert und anschließend in Zürich ans Schauspielhaus gebunden hatte. Das exquisite Engagement ist für Frick auch Bestätigung eines Kurses, der anfangs mehr Zickzack war als geradlinig geknüpfter Roter Faden.
Wenn Frick über ihren Berufsweg spricht, kündet nämlich nichts von Berufung und unbedingter Leidenschaft. Es klingt fast so, als sei ihr die Schauspielerei eher passiert. Und wäre da nicht ihre Mutter, vielleicht würde Sarah Viktoria Frick heute doch als Hebamme arbeiten, wie geplant. Frick war 15, als ihr klar wurde, dass sie die Schule nicht zu Ende bringen würde. Aber Theater? Theater war etwas, das die ältere Schwester »toll gemacht hat«, beim Feuerwehrball oder dem Fußballvereinsfest. Nichts ernsthaft Zukunfts-weisendes. Die Mama hat schließlich aber die Bewerbungs-Unterlagen der umliegenden Schauspielschulen bestellt. Bern, Zürich, München. Mit 17 stieg sie dann in den Zug nach München, zur Aufnahmeprüfung. »Da war ich dann richtig, richtig traurig, als es nicht klappte«. Als »zu jung« befanden sie die Dozenten, denen sie damals Shakespeares Viola vorsprach, »weil die so hieß wie meine Schwester«. Eine Idee von dem, was sie wirklich spielen wollte, habe sie anfangs gar nicht besessen. Wenn sie zuhause ihre Texte vorbereitete, habe sie »das immer ganz leise getan.« Sarah Viktoria Frick war lange eine Schauspielerin, die eher vom Körper aus gedacht und agiert hat. Aus dem Gefühl, nonverbal besser zu sein, wuchs erst langsam ein Vertrauen in die Sprache. »Ich hab nicht an Theater gedacht, sondern an Spielen.«
Nicht zuletzt deshalb ist sie vermutlich auch die grandiose Pantomimin, die sich vor dem illyrischen Gestade hingebungsvoll prustend am Sturm im Wasserglas verschluckt, dass wir die See toben zu hören meinen und die Lungenbläschen rasseln – wie zuletzt eben als Viola in »Was ihr wollt«. Frick als gewiss breitbeinigste Schiffbrüchige seit Erfindung der Hosenrolle. Im turbulenten Bösch-Kosmos ist sie außerdem die zweitbeste Geräuschemacherin nach dem Bühnenmusiker Karsten Riedel. Wenn sie ihre Comic-Register zieht, gehen auf der Bühne die Pferde durch und den Träumen erwachsen Sprechblasen.
Sie wünscht sich, »dass die Leute etwas mit meiner Phantasie anfangen können«, sagt Sarah Viktoria Frick. Es ist ihr Reichtum an Ausdruck, etwas, was man nicht lernen kann. Auch nicht an der Hochschule für Musik und Theater in Zürich, wo sie nach der Absage in München dann bald aufgenommen worden war. Dort hat sie auch David Bösch getroffen. Für die gemeinsame Produktion »Leonce und Lena – a better day« nach Georg Büchners Dramenkomödie gab es beim Schauspielschultreffen in Graz 2003 den Darstellerpreis.
Aus dieser Zeit ist eine Art »Theaterfamilie« geblieben, die gemeinsam arbeitet und wohnt. Wichtigster Ort neben dem Theater und seiner Kantine ist die WG-Küche, die sie sich seither mit ihren Kollegen Lukas Graser und Nicola Mastroberardino teilt. »Mit den Jungs nach Essen zu kommen, war keine Frage«, stellt Sarah Viktoria Frick fest.
Überhaupt ist sie niemand, die man in langen Gesprächen überzeugen, verführen, gar knacken müsste. Statt endloser Debatten liebt Frick das Probieren und Improvisieren – oft ein Verstehen ohne Worte. Als Bösch ihr Kleists Käthchen antrug, habe sie gleich gewusst: »Eine Stalkerin!« Also ist sie dem stolzen Wetter vom Strahl eben wie ein Grafen-Groupie hinterhergelaufen, ein prachtpubertierender Teenager mit Glut im Herzen und schmachtenden Lovesongs im Kopf. Das störrische Kind, das in seiner unfrommen Heftigkeit gegen Anstandsregeln wie gegen Burgmauern anläuft, kennt im Frick-Repertoire immer noch Steigerungen.
Wenn sie als Antigone aus dem Zuschauerraum heraus buht und »Propaganda!« schreit, poltert eine Gefühls-Extremistin, die geradewegs als theatrale Vorhut zur Baader-Meinhof-Gang erscheint. Eigentlich ist die antike Antigone, die gegen den Befehl des Herrschers Kreon den toten Bruder und Staatsfeind bestatten will, Inbegriff einer artig das Götter- und Menschenrecht verteidigenden Märtyrerin. Bei Frick jedoch verwandelt sich diese Ethik-Dienerin in eine Rotzgöre in Lederstiefeln, die die Protest-Pose ebenso beherrscht wie die Songs von Kurt Cobain. Mutter Frick, die zu fast allen Premieren nach Essen reist, sagt die Tochter, habe die Antigone besonders gefallen, »weil ich sie so überrascht habe«. Sie selbst war nicht weniger verblüfft, die Figur auszuhalten: eine renitente Nervensäge zu sein, die womöglich übers Ziel hinausschießt.
Oft wirkt ihre wild ausgeschüttete Energie wie ein Ventil – mit juvenilem Volldampf zum Kern der Geschichte. So hat auch Molnárs Vorstadtlegende »Liliom«, 2007 von NRW-Kritikern zur besten Inszenierung des Jahres gekürt, mit Frick ein kräftig pochendes Herz-Zentrum bekommen. Die Julie spielt sie nicht als hilfloses Opfer, sondern als zart-ruppige Gefährtin, eine Frau, die sich Gefühle mehr ertrotzt als ersehnt. Nähe gibt es eben nicht ohne Risiko, ist Bedrohung und Erlösung zugleich, lernt diese Liebestöterin wider Willen.
Nun muss Sarah Viktoria Frick das Loslassen lernen, Grillo goodbye. Essen, sagt der Familienmensch Frick, »war Deutschland«. Und in dem Moment klingt es doch recht weit weg von Liechtenstein, weit weg von der Familie, die in Wien wohl bald noch öfter zuschauen wird, vielleicht auch der Vater. Womöglich wird er ahnen, was er in Essen alles verpasst hat. Nicht nur den Puck. //