// Am Musiktheater im Revier will man unter der neuen Intendanz von Michael Schulz einen Schwerpunkt auf Benjamin Brittens Opernschaffen legen. Nach künstlerisch beliebigem Saisonstart mit zwei Musicals und einer eher blassen »Aida« ist nun mit Elisabeth Stöpplers atemberaubend spannender und zugleich luzider Regie von »Peter Grimes« ein erster Volltreffer geglückt. Kathrin-Susann Broses Ausstattung verweigert sich pittoresker Meeresromantik ebenso wie grobmaschiger Seemanns-Folklore.
In nüchterner Sperrmüll-Tristesse lungern die Fischerdorf-Bewohner wie heutige Hartz-IV-Anwärter herum. In der Lähmung jedoch lauert Gewalt. Grimes ist eine zutiefst ambivalente Figur, deren Schuld bis zuletzt offen bleibt. Hat er tatsächlich die beiden Jungen auf dem Gewissen, die unter ungeklärten Umständen bei stürmischem Fischfang starben? Ist er Täter oder war er selbst Opfer?
Stöpplers Regie schafft es, Brittens Oper wie einen Krimi zu erzählen und parallel zu den düster sich auftürmenden Feindbildern auf der Bühne die Gewissheiten im Zuschauerraum kontinuierlich schwinden zu lassen. Jan Vacik als Grimes zeigt einen Sonderling, mit dem man zunächst sympathisiert, in dem aber immer wieder wie abgespaltene Aggressionen aufblitzen. Darin verdichtet er freilich nur in mächtiger Gestalt, was jederEinzelne im Fischerdorf mit sich herumträgt: die sensationsgeile, süchtige Mrs. Seadley (Marie-Helen Joël), der bigott schwache Pastor (E. Mark Murphy), der methodistische Aufpeitscher Bob Boles (William Saetre) mit heimlich pädophilen Neigungen und all die im Chor prägnant heraus gearbeiteten Typen, die sich schließlich zur »Peter Grimes!« brüllenden Meute zusammenrotten und den negativen Helden in den Tod treiben.
Meisterhaft choreografiert die Konwitschny-Schülerin Stöppler die stets gegenwärtigen Chormassen. Die ausladenden Orchesterzwischenspiele bebildern raumgreifende Videos: Albtraumbilder von (er)trunkener Schönheit. Auch musikalisch ist der Abend auf höchstem Niveau angesiedelt: Der neue Chedirigent Rasmus Baumann hält die Fäden sicher in der Hand, spitzt zu, klärt, findet immer neue Nuancen und spürt Subtexte auf. Großartig auch der Chor, der aus einem Guss tönt. Die Sängerkrone geht ans ganze Ensemble, überstrahlt von Jan Vaciks souveränem und anrührendem Grimes. Ein faszinierender Abend. // REM