// Gott befohlen. Die Kirche ist Bezugspunkt und Antithese. An der Stirnseite der Halle Kalk erhebt sich ein Altaraufsatz, fünf Reihen mit Dutzenden Stühlen bieten Platz und Spielmaterial für zehn Darsteller, die sich anfangs wie spärlich eintrudelnde Gottesdienstbesucher einen Platz suchen. Die Orgel braust, Gesang ertönt. Der Raum (Bühne Stéphane Laimé) lädt zur Wanderschaft ein, gleich dem Text auf seinem Stationenweg. An dem Altar der Menschheit liegt bald ein Toter. Blut fließt, verspritzt aus Plastikflaschen, wie wir es aus Jürgen Goschs Düsseldorfer »Macbeth« kennen. Shakespeares Königsmörder hatte Thomas Dannemann gespielt, dessen Regie am Schauspiel Köln mit Grimmelshausens »Simplicissimus Teutsch« sich ähnlich materialisiert. Dannemann lenkt ein proletarisches Passionsspiel, gebettet auf bloßem Boden, besudelt mit Erde und Holzspänen. Es kommt aus mit den schlichten, improvisatorischen Mitteln des Theaters pur: einem Bindfaden, der als Kälberschwanz zwischen die Beine geklemmt, dem schlaffen Ärmel eines Pullovers, der zum Lautensack gewrungen wird. Und hat mit Jan-Peter Kampwirth einen wunderbaren Hauptdarsteller, auch er durch Goschs Ganzheitsmethode gegangen.
Das volkstümlich drastische Sittenbild aus dem Dreißigjährigen Krieg, der Abenteuer- und Schelmenroman, weiß nichts vom Frieden. Sein Held, der Einfaltspinsel, weiß nichts von sich und der Welt, nicht mal seinen Namen. »Bub« sei er gerufen worden, sagt dieser andere Parsifal dem Eremiten, zu dem er flüchtet, als Marodeure sein Elternhaus im Spessart verbrennen. Ein unbeschriebenes Blatt, das sich langsam mit Zeichen füllt.
Die Bühnenfassung (Soeren Voima), deren moderne Aneignung der Barocksprache ebenso funktioniert wie in der ästhetischen Aufrauung, lässt Simplicius in der Begegnung mit sich selbst die Beichte ablegen: der Alte (Michael Weber) dem Jungen (Kampwirth), der vom Lotter- und Landsknecht-Leben Gezeichnete, der niemandem traut und das Messer zieht, bevor es ihn erwischt, dem Unwissenden in langer grauer Strampelhose. Mit Simplicius wird Schindluder getrieben, der Kommandant von Hanau befördert ihn zu seinem Schützling, er wird verspottet und gequält, während sich Schwedische und Kaiserliche gegenseitig zum Teufel schicken, er durchläuft Rollen, mal Täter, mal Opfer, mal »Jäger von Soest«, mal bekränztes Mägdelein. Kampwirth aber bleibt das von Wechselfällen unversehrte, hellwache, pfiffige Weltkind. Kurz vor der Pause der dreieinhalbstündigen Aufführung muss er närrisch zum Kalb mutieren, stakst auf allen Vieren einher, sein Rindsmaul tut Wahrheit kund. Dann tritt er ans Mikrofon und singt als Antistar ein trauriges Lied von der »Muh«-sal des Lebens, so natürlich und ehrlich wie einst der Pfefferminzprinz Müller-Westernhagen.
Oszillierend zwischen ernüchterter Komik und rigorosem Zeitvertreib, anfangs mit gebremster Energie, dann sich verdichtend und vielfach auslappend zu Kunststückchen und aufs Rad des Kreislaufs geflochten, schnoddrig und lässig, nehmen die Episoden wie von ungefähr ihren Lauf und feiern den Abschied vom Lustort Welt. // AWI