// Ein Wiederentdeckung. Eine Erstentdeckung für gewiss Viele: David Smith. Zu lange nämlich waren die Arbeiten dieses Pioniers der modernen Bildhauerei nicht im Überblick zu sehen. Alle Kenntnisse beschränkten sich in den letzten Jahren auf einige Arbeiten in Museumssammlungen sowie auf die Standardwerke zur Geschichte der Kunst. In Amerika eine feste Größe des 20. Jahrhunderts, ist Smith hierzulande als Klassiker der zeitgenössischen Kunst kaum bekannt.
Das sich dies ändert, dazu trägt nun die Werkübersicht im Lehmbruck-Museum bei, sie zeigt Plastiken, Zeichnungen und Malerei aus der Zeit von 1932 bis 1962. Schon der Ausstellungstitel »Working Surface« benennt das Charakteristische dieses Werks: David Smith ist ein Bildhauer, der nicht nur in den Raum hinein, sondern auch mit der Oberfläche arbeitet. Der seine Metallplastiken mit Farbe versieht. Der immer auch wie ein Maler denkt und komponiert und sich des weiteren mit der Silhouette – gewissermaßen zeichnerisch – beschäftigt. Also in allen Medien zuhause ist, die sich gegenseitig stützen und vertiefen. Und obwohl Smith 59-jährig bei einem Autounfall 1965 ums Leben kam, hat er ein gewaltiges Werk hinterlassen, das fundamentale Überlegungen zur Skulptur vorangetrieben und bereichert hat. Seine Plastiken wechseln mühelos zwischen Figuration und Abstraktion, sind anspielungsreich und zugleich ganz auf sich konzentriert. Das Œuvre selbst entwickelt sich von Vielteiligkeit mit kleinen Dimensionen zu konstruktiver Reduziertheit und Monumentalität.
Zu verstehen ist all das aus dem Kunstgeschehen des frühen 20. Jahrhunderts, das David Smith aufgesaugt und verinnerlicht hat. Smith hatte stets mehrere Werke in Arbeit und dafür Einzelteile, Fundstücke aus Metall, in einem Lager vorrätig. Für ihn hatte die Mühsal mit den schwergewichtigen Stücken, die unhandlich und einzig mit Hebebühnen und Kränen zu bewegen waren, etwas Notwendiges, war Teil einer nüchternen Herangehensweise, die inspiriert und zupackend zugleich blieb. Eisen war als künstlerisches Material unverbraucht und ganz und gar Ausdruck seiner Zeit; andererseits bezog sich Smith immer wieder auf antike Kulturen – kurzum, sein Werk ist originell und gebildet, dabei sehr direkt in der Anschauung und wirkt noch heute anregend.
Geboren 1906 in Decatur (Indiana), studiert David Smith ab 1927 Malerei an der Georgetown University; dort kommt er erstmals mit Konstruktivismus und Kubismus in Berührung. In Zeitschriften entdeckt er die Eisenkonstruktionen von Picasso und die Werke der russischen Avantgarde. Er tauscht sich in diesen Jahren mit Malern wie Arshile Gorky und Willem de Kooning aus, die wie er begierig auf Informationen aus Europa sind. Und er bekommt schon in Amerika die Metallarbeiten von Julio Gonzalez zu Gesicht. Selbst erstellt er ab 1932/33 Eisenplastiken, die er aus Fundstücken schweißt und partiell mit Farbe versieht. Auch wenn Smith weiterhin auf Leinwand malt, zeichnet und mit diesen Medien experimentiert: Von nun an versteht er sich primär als Bildhauer.
Eine achtmonatige Europa-Reise 1935/36 ermöglicht ihm tiefere Einblicke in die europäische Avantgarde mit ihrem Zentrum Paris. Er reist dann aber weiter nach Griechenland, wo er sich mit der Kunst und Kultur des Altertums beschäftigt. Kann man sagen, dass ihm all dies die Augen geöffnet hat? Jedenfalls prägen die Eindrücke, die er auf dieser Reise gesammelt hat, sein künftiges Werk. Konstitutiv ist das Prinzip Collage, die Zusammenfügung vorgefertigter Dinge wie Ackergeräte oder Teile aus dem Industriebau. Aus der Malerei bewahrt er sich in späteren Jahren, in denen er mit Künstlern wie Frankenthaler und Motherwell befreundet ist, die Impulse des (amerikanischen) abstrakten Expressionismus. Im Anschluss an farbige Holzplastiken und figürliche Darstellungen aus Draht gelangt Smith noch in den 1930er Jahren zur Raumzeichnung mit fließenden Bewegungen; in verschlungenen Gerüsten folgen einzelne Partien linear aufeinander. Gegenständliche Motive gehen mit ungegenständlichen Sequenzen einher. Die Titel forcieren noch die Assoziationen, wecken Emotionen und Erinnerungen und lösen Impressionen an Landschaft, Natur und ursprüngliches Leben aus.
Es sind solche Arbeiten, mit denen David Smith in der amerikanischen Kunst zunächst bekannt wird. Seine Plastik »Hudson-River Landschaft« ist 1954 auf die Biennale Venedig zu sehen, dort vertritt er 1958 mit weiteren Kollegen die Vereinigten Staaten. Er wird 1959 und 1964 zur documenta eingeladen und erhält 1959 den Preis der Biennale São Paulo. In den USA selbst richtet ihm das Museum of Modern Art 1957 eine Werkschau aus, die wesentlich zu seinem Ruhm beiträgt.
Ab den 1960er Jahren arbeitet Smith an mächtigen Außenplastiken, die mit rechtwinkligen Platten, Kuben, Kreissegmenten und Scheiben robust in die Höhe wachsen. Zugleich gewinnen die Flächen an Wirkung durch die Verwendung von poliertem rostfreiem Stahl, in dem das Licht reflektiert, und durch die malerische Akzentuierung mit Farbe. »Es ist die Einführung von etwas Fremdem, aber warum nicht?«, hat Smith zum Umgang mit der Farbe gesagt. »Manchmal wird so die Struktur des Stahls verleugnet. Und manchmal kommt erst dann seine ganze Kraft zutage – gleich welche Form man vor sich hat. Keine Regeln …«.
Zu den typischen Plastiken der späten Zeit gehört »Primo Piano II« (1962), die Teil der Ausstellung des Lehmbruck-Museums ist. David Smith hat sich dabei auf ein elementares Vokabular beschränkt, das ausgesprochen sparsam in zwei Ebenen komponiert ist. Im oberen Bereich korrespondieren zwei Scheibenformen, die an Wolken und an die Sonne denken lassen. Die linke Seite öffnet sich stufig in die Umgebung. Im Abschreiten der Formen erinnert das Reduzierte und Primäre noch an archaische Befunde. Andere Arbeiten aus dieser Zeit stellen einfachste Wagen dar und konkretisieren derartige Verbindungen weiter; Smith hat dazu in Interviews auf die aus Stein gehauenen Räder hingewiesen, die er an hinduistischen Tempeln gesehen hat. Das alles aber tritt bei ihm schwerelos auf, frei von Pathos und doch durchdrungen von intensiver Naturerfahrung – wie Smith sie für sich selbst geschaffen hat in der landschaftlichen Weite seines Ateliers in Bolton Landing, im Norden des Staates New York. Dort, wo er seit 1940 ansässig war, errichtete er von 1954 an seine Plastiken auf zwei Feldern zu dichten Gruppen, welche die Sinneseindrücke in der Landschaft und im Wechsel des Lichtes steigerten und noch das Archetypische der überlebensgroßen Werke betonten.
Darauf wird die Ausstellung in Duisburg freilich nur hinweisen können. Aber sie zeigt Arbeiten, die aus dem Nachlass der Familie in New York stammen und nun zum ersten Mal in Deutschland zu sehen sind. Sie sind am rechten Ort in diesem Museum, das hierzulande als erste Adresse für Skulptur gilt. Sinnvollerweise zeigt das Lehmbruck-Museum begleitend Metallplastiken von weiteren Bildhauern, die noch die Wirkung von Smith auf die nachfolgenden Künstlergenerationen belegen. Evident ist dies bei Künstlern wie Anthony Caro, Robert Jacobsen, Carel N. Visser und Tim Scott, und mit Teilen des amerikanischen Minimalismus sind Smith’s spätere Arbeiten grundsätzlich verwandt.
Aber man kann noch weiter in die Gegenwart ausholen, vier Jahrzehnte nach seinem Tod und nachdem Plastik seinen festen Platz im Kunstgeschehen hat. Nachdem Farbe und Malerei in der Plastik längst eine Selbstverständlichkeit behaupten und verknappte Ausdrucksformen derzeit auch in der jüngsten Künstlergeneration en vogue sind. Schließlich wäre sogar nach den Impulsen von Smith für die Farbfeldmalerei zu forschen, und einmal mehr wird deutlich, wie weitreichend sein Werk tatsächlich ist. Eine Enttäuschung freilich bleibt: In Duisburg fehlen die großen vertikal ausgerichteten Plastiken. Anlässe für weitere Ausstellungen mit diesem großartigen Künstler gibt es also genug. //
Bis 3. Mai 2009. Tel.: 0203/283-3294. www.lehmbruckmuseum.de
Circles Intercepted, 1961, Stahl, bemalt, 227,5 x 142 x 51 cm. The Estate of David Smith, New York © The Estate of David Smith, VAGA, New York, 2008.