»Meisterdetektiv Kalle Blomquist« in Bonn
// »Die haben sich ja überhaupt nicht umgezogen«, ruft ein Mädchen aus einer der vorderen Reihen. Ja, Eva-Lotte Lisander trägt am nächsten Morgen doch tatsächlich noch immer ihren blauen Rock und das bonbonrosafarbene T-Shirt mit den kleinen bunten Farbtupfern. Während um die Beine ihres Freundes Kalle diese dem
Publikum bereits bekannte, grob karierte Hose schlackert, in deren riesigen Taschen sich mindestens zehn Yps-Detektivsets versenken ließen. Doch die braucht Kalle nicht. Denn der 13-Jährige ist ja ein Profi – ein weltbekannter Meisterdetektiv. Denkt Kalle. Ganz sicher aber ist er der beste in Kleinköping. Da passiert aber nie was, so dass Kalle mit dem Bleistiftanspitzer nachhelfen muss, damit endlich mal Blut fließt. Auf jeden Fall aber haben Detektive, wenn sie ausnahmsweise mal so richtig schwere Jungs wie Onkel Einar jagen dürfen, einfach keine Zeit, sich um frische Hemden oder saubere Hosen zu kümmern. Anders als all die vielen Kinder, die, wenn sie ins Theater gehen, von ihren Eltern richtig entzückend herausgeputzt werden. Dafür werden sie im Foyer der Kammerspiele des Theater Bonn großzügig mit Naschzeug entschädigt – und mit Thomas Goritzkis wirklich blitzsauberer, pointen- und temporeicher Inszenierung des »Meis-terdetektiv Kalle Blomquist«, den Eberhard Möbius nach Astrid Lindgrens 1956 erschienenem Roman für das Theater eingerichtet hat. Eine Stadt steht da auf der Bühne, deren Häuser man in Geheim- und Notfällen auch über Regenrinnen verlassen kann. Das ist eine Kräfte raubende Angelegenheit und kein Kinderspiel. Oliver Chomik gerät als Kalle dabei großartig in Fahrt; Konstantin Lindhorst als Anders und Franziska Hartmann als Eva-Lotte stehen ihm in nichts nach. Am glücklichen Ende sind dann nicht nur die Ganoven im vogelkäfigartigen Kittchen, sondern auch die Detektivklamotten großzügig durchgeschwitzt. Doch das ist ein Fall für die Waschmaschine. // ANK
»Tom Sawyer« in Oberhausen
// »Wer kennt Tom Sawyer?« Der Regisseur Thomas Hollaender steht an der Rampe des Theaters Oberhausen und will wissen, wen er vor sich hat. Unten zappeln zweihundert Kinder in ihren Sitzen. Aber jetzt schnellen hundertfünfzig Arme hoch, schreien hundertfünfzig Kinderstimmen: »Iiiich!«. Lauter Kenner also eines Buches, das vor hundertdreißig Jahren
in Amerika erschienen ist und in einer Welt spielt, die den kleinen Drittklässlern mit Fernseh-, Gameboy- und Computerspiel-Erfahrung denkbar fremd sein dürfte.
Das stimmt aber wohl so nicht. »Ich hab’s aus der Stadtbücherei«, sagt der kleine Junge auf dem Nebensitz in einem Tonfall, als sei das Bücherausleihen das Selbstverständlichste von der Welt. »Hat’s dir gefallen?« Knappes Ja. »Warst du schon mal im Theater?« Ernstes Nicken: »Vier Mal.« Statt in der Schule zu sitzen, klettern er und die andern Kinder heute auf Theaterpolstern herum. Als Testpublikum in einer Voraufführung von »Tom Sawyers Abenteuer«, das Gerold Theobalt für die Bühne eingerichtet hat. »Ist der Baum echt«, fragt mich der Kleine, dessen Migrationshintergrund ihm eine schöne Farbe auf die Haut zaubert. Er selbst bezweifelt die Echtheit des bühnenhimmelhohen Gewächses mit der schütteren Krone. Auch, dass der Musiker, der mit der Krücke auf die Bühne humpelt, nur so tut, als ob, ist für ihn klar. Die Medienkompetenz der in diesem Jahrhundert Geborenen ist offenbar weitreichender, als man denkt.
Auf den dicken hohen Baum ist inzwischen Tom geklettert, um sich vor Tante Polly zu verstecken, die ihn sucht, weil er wieder was angestellt hat. Die Tante fragt die Kinder, ob sie wissen, wo Tom steckt. »Nein«, schreien alle. »Auf dem Baum«, petzt ein einzelnes Stimmchen. Wie schön, die alten Kasperltheatertaktiken funktionieren immer noch. Das Dampftheater, die alte Illusionsmaschine, kann sie noch Kinderseelen fesseln? Ganz offenbar, sobald was los ist auf der Bühne. Sobald Tom und Huck und die andern Kinder (gespielt von erwachsenen Schauspielern) herumrennen und sich raufen und sonst wie laut sind. Oder wenn Huckleberry Finn seinen Schulschwänzer-Blues singt und die E-Gitarren der Band laute, schmutzige Riffs dröhnen lassen. Dann johlen die Kinder und schaukeln die Arme im Takt. Aber auch, wer hätte das gedacht, wenn es dunkel wird und auf den Friedhof geht, packt das Theater die Kinderseelen. Da rutschen die Kids stöhnend in die Sessel. Vor allem aber gibt »Tom Sawyer« Gelegenheit zum Mitreden, Vorsagen, Anfeuern, Klatschen und Winken. Und ist darin jedem Computerspiel voraus. // UDE
»Emil und die Detektive« in Düsseldorf
// Einen großen Coup landet das Düsseldorfer Schauspielhaus schon im Foyer. Verteilt wird ein linealförmiges, neongelbes Etwas, auf dem neben den Logos des Hauses auch noch der Schlachtruf aus Erich Kästners »Emil und die Detektive« Platz gefunden hat: »Parole Emil«. Die Frage der freundlichen Garderobiere, ob das Kind denn wisse, wie das Ding funktioniere, ist nur allzu angebracht. Was mag das sein? Der Vater jedenfalls weiß es nicht. Wenn man es wirft, rollt es sich zusammen. Es wickelt sich um Hosenbeine und Jackenarme und leuchtet bei entsprechendem Lichteinfall zurück. Mit anderen Worten: Es ist auffällig. Genau das wollen Erich Kästners Hobby-Detektive gerade nicht sein bei ihrer Suche nach dem großen Mann mit dem hässlichen Anzug, der Emil auf seiner Reise nach Berlin um die sauer ersparten 140 Mark gebracht hat. Weshalb auch nur die jungen Besucher im Zuschauerraum aufgeregt und neugierig mit diesem Ding herumfuchteln. Im Dunkeln leuchten dann nur noch staunende Augen. Regisseur Frank Panhans setzt, choreografisch assistiert von Marcus Grolle, eine ganze Menge in Bewegung, nicht zuletzt die Drehbühne, während »Zaufkes Musicalienhandlung« unter der Leitung von Klaus-Lothar Peters mit festem Boden unter den Instrumenten der jungen Kundschaft Musik offeriert. Sobald die Inszenierung in Berlin bei Cousine Pony Hütchen und der Großmutter angekommen ist, wird natürlich ordentlich gemackert. Doch es ist ein Mädchen, das aus all der Halbstarkheit heraussticht. Was Viola Pobitschka als schwer bebrillte »Professorin« auf die beweglichen Beine stellt, ist wirklich komisch anzusehen, auch Matthias Fuhrmeister hat als riesenhafter Dieb sichtlich Spaß daran, einmal so richtig die Rampensau raus zu lassen. Genau das ist in diesem Fall auch angebracht, derweil die effektsichere Regie nicht mit engagiert vorgetragenen Gesangeinlagen spart. Dass sich dann auch noch die Marketingabteilung nicht hat lumpen lassen, ein bisschen Neongelb drauf zu tun, macht »Emil und die Detektive« auch als Weihnachtsmusical zum Erlebnis. // ANK