// Sie ist nicht zu übersehen. Dank ihrer Vorliebe für Nasen-Piercings, für bisweilen poppig-schrille Outfits und vor allem wegen ihres üppigen Afro-Looks. Measha Brueggergosman ist aber nicht ein neues Maskottchen der MTV-Generation, obwohl sie da durchaus Erfolgschancen hätte. Denn neben ihrer foto- und video-genen Optik sowie einem ungebündelten Temperament besitzt sie noch eine Stimme, die nach eigener Einschätzung bisweilen »kinda dirty« sein kann. Solche leicht dreckigen, verruchten Nuancen bietet sie jedoch nur, wenn es zum Herz-Rhythmus-System ihrer ausgewählten Songs passt. Die stammen bei ihrem jetzt in Köln und Dortmund präsentierten Programm »Surprise« nicht etwa aus dem Blues-, Soul- oder Pop-Segment. Es sind vielmehr ewigjunge und knackfrische Gebrauchs- und Kunstlieder der humorvoll frechen, sofort anspringenden, aber auch höchst apart sinnlichen Art.
Da wirft sich Brueggergosman beispielsweise in einem Chanson des französischen Kauzes Eric Satie als »Diva de l’Empire« augenklappernd keck in Schale. Dann zeigt sie in den kabarettistischen, vom Wiener Charme durchwehten »Brettl-Liedern« Arnold Schönbergs erst als »Galathea« Bein, um darauf einem »genügsamen Liebhaber« säuselnd dessen Glatze auf Hochglanz zu wienern.
Hier wie nicht zuletzt in den jazzinspirierten »Cabaret Songs«, die der Amerikaner William Bolcom in bester Nachfolge von Kurt Weill und Leonard Bernstein komponiert hat, kann Measha Brueggergosman ihr Allround-Talent einsetzen. Mit ihrem vibratoreichen, sich bis in strahlende Höhen hinaufschraubenden Sopran ist die gebürtige Kanadierin mal coole Entertainerin, mal heißblütiger Vamp oder feinnervig gefühlvolle Sirene. Weil alles ohne stimmgeschauspielerte Mätzchen daherkommt, sondern natürlichen Swing und Esprit besitzt, darf man Brueggergosmans Behauptung für bare Münze nehmen, dass dieses Repertoire eine Art vergrößertes Spiegelbild ihrer selbst sei.
So musikalisch durchlebt sich das bei der 31-Jährigen auch anhört, folgt sie dabei doch einem ehernen Prinzip, auf das schon einst der Barockfürst Claudio Monteverdi gesetzt hatte: »Prima le parole e poi la musica« – erst die Worte und dann die Musik. Brueggergosman sieht es als »Kunststück, den Gesang so weit zurückzunehmen, dass er das Geschichtenerzählen nicht überschattet. Die Bolcom-Lieder etwa lassen höchst theatralische Mini-Dramen erstehen, bei denen die Musik vom Text getragen wird – nicht umgekehrt. Die ausgebuffte Mischung zu treffen aus Lässigem und Formalem macht ihre besondere Schwierigkeit aus. Das Erstaunlichste an ihnen ist, dass es sich nicht einmal um richtige Geschichten handelt, sondern um Ausschnitte, Momentaufnahmen, bei denen ein Großteil der Handlung ausgeblendet wird und man dennoch genau begreift, was passiert ist, bevor der Song einsetzt, und was danach noch alles geschehen mag.«
Für sie gebe es »wirklich nicht viele, die diesen Effekt mit einem Lied erzielen können«. Zum handverlesenen Kreis gehören für sie demnach noch Hugo Wolf und Francis Poulenc, zwei weitere, unterschiedlich verwurzelte Komponisten, mit denen sie ihre gemeinsamen Liederabende mit dem Pianisten Justus Zeyen komplettiert.
Dass Measha Brueggergosman nicht nur über eine übermäßig gestalterische Intelligenz verfügt, sondern neben ihren beiden Muttersprachen Englisch und Französisch auch das deutsche Klang-ABC perfekt beherrscht, verdankt sie der berühmten Lied-Pädagogin Edith Wiens. Bei ihr, in Augsburg, holte sich Brueggergosman den letzten Schliff, nachdem sie in ihrer kanadischen Heimat, an der Universität in Toronto, Gesang studierte hatte. In den Folgejahren sammelte Brueggergosman sodann erste Trophäen (ihr Nachname setzt sich übrigens aus dem Namen ihres Schweizer Gatten Bruegger und ihrem Mädchenname Gosman zusammen). 2000 war sie Preisträgerin beim Internationalen Schumann-Wettbewerb in Zwickau, erhielt den New Yorker »Kirsten Flagstad Memorial Award« wie auch Auszeichnungen beim Münchner ARD-Wettbewerb und in London, Oslo oder s’Hertogenbosch. Parallel stellten sich Erfolge auf dem internationalen Parkett ein, wo sie inzwischen mit Dirigenten wie Daniel Barenboim, Michel Tilson-Thomas und Franz Welser-Möst gearbeitet hat.
Reichte dabei der Bogen von den Orchesterliedern Mahlers, Strauss’ und Gershwins bis zu den solistischen Aufgaben in den Requiems von Mozart, Verdi und Britten, ließ sie sich bislang nur äußerst selten und dann in eher kleinen Rollen aufs Musiktheater ein. Das Kunstprodukt Oper, »bei dem ich mich verstellen müsste«, entspricht nicht ihrem künstlerischen Verständnis von Authentizität. Außerdem will Brueggergosman nicht zu diesen »Drag-Queens gehören, die in der Oper nur hohe Töne und diese dann immer besonders laut singen«. Wenn schon Opern-Intendanten anklopfen, dann bitte mit Stoffen, in denen eine gewisse politische Brisanz und aktuelle Sprengkraft steckt. Wie in Francis Poulencs »Dialogues des Carmélites«, an der Brueggergosman die eindringliche Darstellung von Frauenschicksalen in einer Tyrannei fasziniert. Und in ihrer bislang einzigen Titelpartie, in der 1998 uraufgeführten Oper »Beatrice Chancy« von James Rolfe, war sie eine junge schwarze Frau zu Zeiten der Sklaverei.
Von unangenehmen rassistisch motivierten Situationen blieb die junge Brueggergosman verschont, da »die kanadische Bevölkerung wegen der zahllosen Einwanderer offener und bunter« sei. Dennoch kommt man in Interviews immer noch auf ihre Hautfarbe zu sprechen. Kürzlich sei ihr in einem Interview gesagt worden, dass sie ja nur eine von wenigen farbigen Frauen in der klassischen Musik sei … »Abgesehen davon, dass es längst eine lange Liste schwarzer Sängerinnen gibt, von Marian Anderson über Jessye Norman und Leontyne Price bis zu Barbara Hendricks und Grace Bumbry, zählt es in diesem Geschäft nicht mehr, was für eine Hautfarbe man hat.« Wer wollte das nach dem 4. November bestreiten.
Gewiss aber kommt es bei Sängerinnen auf die Frisur an. Nimmt man Measha Brueggergosmans Mähne in Augenschein, lässt sich schon daran ihre Begeisterung für ihr Liedrepertoire ablesen: »Cabaret-Songs sind für mich so etwas wie klassische Musik mit heruntergelassenen Haaren.« //
9.12. 2008 Kulturkirche Köln; www.kulturkirche-koeln.de; 11.12. 2008 Konzerthaus Dortmund; www.konzerthaus-dortmund.de