// Wer hätte gedacht, dass Abba eine derartige Renaissance erlebt? Die Gute-Laune-Musik des schwedischen Pop-Quartetts, das mit mehr als 370 Millionen verkauften Tonträgern zu den erfolgreichsten Gruppen der Musikgeschichte zählt, scheint nach 30 Jahren wieder der Sound der Zeit zu sein. Das Musical »Mamma mia« ist ein Renner, übrigens auch in Essen, im Sommer kam die Verfilmung mit Meryl Streep heraus; nun hat das Aalto Theater auch noch »Chess« ins Spiel gebracht. Als das Musical 1986 herauskam, ging Abba zwar schon seit vier Jahren getrennte Wege, dennoch hört man den Songs und Arrangements von Björn Ulvaeus und Benny Andersson die Herkunft unverkennbar an. Ursprünglich hatte Andrew Lloyd Webber den etwas sperrigen Stoff vertonen sollen, was den sicheren Welterfolg bedeutet hätte, doch wurde auch die Ex-Abba-Vertonung in London jahrelang en suite gegeben, um dann vom Feld zu verschwinden. Wohl auch deshalb, weil »Chess« der echte Ohrwurm und die schmissige Erkennungsmelodie ebenso fehlen wie Webbers banaler Breitwand-Klang. Doch auch der ambitioniert konstruierte Plot von Tim Rice, der die Skripts von »Jesus Christ Superstar« und einer neuen »Aida« schrieb, quält sich etwas mühsam ins Finale. »Chess« will ein politisches Musical sein, findet jedoch zwischen Lovestory, Intrige, Unterhaltung und Weltgeschehen weder Haltung noch Ort.
In den frühen 80er Jahren, zu Zeiten des Kalten Krieges galten bei den Schachweltmeisterschaften die Duelle zwischen Bobby Fischer und Boris Spasski als Stellvertreter-Auseinandersetzungen der Weltmächte. Um Ost-West-Konfrontation geht es also, um das Ringen der Ideologien, um Geheimdienste, Macht, Geld und eine Liebesaffäre. Der russische Großmeister ist zerrissen zwischen seiner Frau und der Freundin seines US-Gegners. Am Ende der Frontwechsel siegt die Liebe zum Sport und zur Sowjetheimat. James de Groot und Paul Kribbe inszenieren mit Schwung, Sinn für Effekte und erlauben sich auch gezielt dosierten Kitsch, handwerklich perfekt sind die Choreografien, Videoeinspielungen und intimen, kalkuliert sentimentalen Momenten. Dirk Beckers stilisierte, von Schachbrett-Motiven dominierte Bühne gerät heftig in Bewegung, Chor und Ballett zeigen Südtiroler Schuhplattler, Bangkok-Dekadenz und Disco-Tanz der 80er. Wie immer in Essen wurde eine erstklassige Besetzung verpflichtet: Romeo Salazar als quirliger Schiedsrichter, Henrik Wager und Serkan Kaya als die charismatischen, wohl tönenden Konkurrenten; herausragend Claudia Hauf als Svetlana, während Heribert Feckler mit dem bestens aufgelegten United Rock Orchestra die Stimmung abmischt. // REM