// »I love it here!« Der Mann ist begeistert. Vorhin hat er Training gegeben: Übungen, die jeder Tänzer, jede Tanzkompanie machen muss, um danach an die Arbeit gehen zu können. Auch das Wuppertaler Tanztheater von Pina Bausch stellt sich morgens an die Stange und perfektioniert sich – im Ballett. Plié, relevé, battement tendu. Deshalb ist Antony Rizzi hier. Ein paar Tage lang unterrichtet der Amerikaner das Ensemble und schaut sich anschließend an, wie die Tänzer »Nelken« wiedereinstudieren. Nach dreijähriger Pause reichen dafür wenige Tage. Auch »Vollmond« wird geprobt. Jeder übernehme dabei eine Menge Verantwortung, ohne groß auf Anweisungen zu warten, erzählt Rizzi, den dieser Einsatz und der Esprit des Ensembles aus interessanten Persönlichkeiten an seine Zeit beim Frankfurt Ballett von William Forsythe erinnert. »Ein Haufen Freaks!« Von 1985 bis 2004 war er bei der berühmten Truppe des großen Balletterneuerers, wohnt weiterhin in Frankfurt und choreografiert seit etlichen Jahren auch selbst. Was treibt ihn nach Wuppertal?
Im Dezember hatte er in der dortigen Theaterkantine auf jemanden gewartet, als plötzlich Pina Bausch neben ihm stand. Er bot ihr eine Zigarette an und erzählte, wie er ihr 1984 in Paris begegnet war. Das war in etwa so: Tony, 19, beim Boston Ballett ausgebildeter Tänzer, wartet vor der Oper, die restlos ausverkauft ist. Pina Bausch steht auf dem Programm. Zufällig sieht er sie vor der Tür, er bittet um Hilfe, und sie nimmt ihn an die Hand, setzt ihn drinnen auf ihren eigenen Platz. »Dann ging der Vorhang hoch, und mein Leben veränderte sich für immer. Plötzlich erschien mir Tanz sinnvoll zu sein.« All das erzählte er Pina Bausch in der Kantine. Es war, als wollte er sich Jahrzehnte später bei ihr bedanken und erwähnt dann noch, dass er sich wünsche, er könne ihr seine Stücke zeigen, Training geben. Wochen später, nachdem er seine DVDs geschickt hatte, bekommt Rizzy dann die Einladung, beim Internationalen Tanzfestival »3 Wochen mit Pina Bausch« sein Stück »Snowman Sinking« zu zeigen.
Rizzi hat sich als Späteinsteiger durch die Ballettausbildung gekämpft und in dieser Zeit am Sinn der ganzen Körpertechnikprotzerei gezweifelt. Bis er Twyla Tharp sah, Penny Arcade in New York und eben die Wuppertaler. 1985 übersiedelte er nach Europa, zum Ballett Frankfurt, das William Forsythe 1984 übernommen hatte. Bei dem Ex-Cranko-Tänzer rollten gerade alle auf dem Boden herum, machten »so Theaterzeug«, das den jungen Ehrgeizling Rizzi irritierte. Doch hier wurde er ernst genommen und blieb. In einigen Forsythe-Stücken wie »Kammer, Kammer« tanzt und spielt er bis heute mit.
»Ein Punkt, noch ein Punkt, das macht eine Linie« ist eine Art Forsythe-Grundlektion. Von hier aus beginnt sich der Kosmos unendlich vieler Bewegungsmöglichkeiten zu entfalten. Auf der Basis des Systems, das Rudolf von Laban einst schuf. Wenn Rizzi den Tänzern Balanchine-Ballett-Exercises aufgibt, ergänzt er sie um solche Hinweise: den Raum beschreiben! »Describing space: Die Arme leiten so den ganzen Körper in den Raum hinein, der übrige Körper koordiniert sich damit.« Während er das erzählt, springt Rizzy in seinem winzigen Hotelzimmer gegenüber dem Wuppertaler Schauspielhaus auf und demonstriert zwischen Fenster und Bett isoliert-mechanisch bewegte Beine und dann Arme, die groß wirken, ihn groß wirken lassen, wach, den ganzen Körper präsent machen, und die engen Wände werden durchlässig.
Zwei Tage später wird Rizzi abreisen nach Antwerpen. Jan Fabre hat ihn wieder engagiert, diesmal für »Orgy of Tolerance«. Als Rizzi nach einigen Jahren bei Forsythe das Gefühl hatte, zu stagnieren, war er für eine Weile zu Fabre gegangen. »Er brachte mich dazu, jede einzelne Sekunde zu bedenken, die ich auf der Bühne bin. Kein Abschalten. Fast ein schauspielerischer Zugang zu Performance und Tanz.« Dass Rizzi das zusagte, sieht man heute noch. Zurück in Frankfurt, fand Forsythe, er sei besser geworden. Später stellte Rizzi bei Fabre einen schwulen Teufel dar, den nichts schreckte. »Das war ich«, fand er. Sex auf offener Bühne. »Das machte mir nichts aus.« Nicht mehr. In seinen eigenen Soli, Duetten, Gruppenkreationen bleiben die Hosen aber an – meistens. Gerade für die brüchig schummrige Grenze zwischen privat und öffentlich, die ja auch das Innerste und Äußerste des Theaters bestimmt, ist Tony Rizzi ein Spezialist geworden. Er kann über die Bühne schlendern, als sei sie ein Wohnzimmer mit ein paar guten Freunden als Gästen, die gerade mal zuschauen. In seinen Aufführungen, die er lieber Performance nennt als Tanz, ist das Publikum immer auch stiller Mitspieler, es wird angesprochen, nicht plump angebaggert. Doch nimmt Rizzi der Bühne nie ihren Zauber, wenn er Geschichten erzählt von sich oder seinen Freunden, Anekdoten, Wortspiele, sinnige Sätze, Spontaneinfälle. Oder wenn er tanzt, einfach so.
Jedenfalls sieht es so aus: einfach so. Knitternde Kunstanstrengung wird man bei Rizzi, der auch Video- und Fotokünstler ist, nicht sehen. Sondern reichlich Phantasie und Intelligenz für Doppelbödigkeiten, Witz und Ernst. In seinem neuesten Trio-Stück »Tiny Bit of Bacon« stellt er einen riesigen Schinken museumsartig auf ein Podest und erklärt, was ein Körper alles tun kann. Was man mit einem Körper anstellen kann. »A body«. Käuflichkeit, Verletzlichkeit, Zärtlichkeit und Krieg. Ihn verbinde viel mit Francis Bacons Sicht auf das Leben, sagt Rizzi. »Is it fighting or is it fucking? Es gibt so viele Schatten in seinen Bildern. Ist es der Schatten von dir, oder der Schatten des Teufels? Ist es Ich oder ein Anderer?«
Pina Bausch wählte für ihr Festival sein »Snowman Sinking« von 1999, eine Geschichte übers Erwachsenwerden: sich eine flauschigplumpe Haut zulegen und herzzerreißende Liebesfilme anschauen. Wie geht echtes Leben eigentlich? Zwischen zwei Punkten eine Linie ziehen. Zwischen drinnen und draußen, hier und damals. Mir und Dir. Früher spielte Rizzis eigene Mutter mit, deren Aktion aus freundlicher Anwesenheit bestand. Diesmal, wie kürzlich in Wien, übernimmt die New Yorker Performance-Avantgardistin Penny Arcade, eine gute Tony-Freundin, den weiblich-intelligenten Part, wie er es nennt. »Ich weiß nie genau, was sie tun wird. Sie improvisiert. Wie ich. Da muss ich wach bleiben.« Klingt ein bisschen wie das wahre Leben. //
Am 23. Oktober 2008 im tanzhaus nrw, Düsseldorf. www.fest-mit-pina.de