// Als Reiner Ruthenbeck vor mehr als zwei Jahren den Wilhelm Lehmbruck Preis der Stadt Duisburg erhielt, wurde er in einem Atemzug mit Chillida, Kricke, Tinguely, Oldenburg, Beuys, Serra, Long und Paik genannt, die vor ihm den wichtigsten Bildhauerpreis Europas erhalten hatten. Ruthenbeck, der stille, bescheidene, ungemein präzise Künstler aus Velbert, freute sich riesig über die Auszeichnung. Jetzt erhält er gleich zwei Ausstellungen, in der Kunsthalle Düsseldorf und im Lehmbruck-Museum. Duisburg zeigt seine frühen Arbeiten und die Fotos, Düsseldorf die großen Installationen und die Arbeiten seit den 70er Jahren.
Mit Asche- und Papierhaufen, gespannten oder gefalteten Tüchern, Rautenformen, umgekippten Möbeln, überdimensionierten Löffeln und Leitern definiert Ruthenbeck, Jahrgang 1937, die Objektkunst neu. Gewissermaßen auf leisen Sohlen gelingt es ihm, formale und stoffliche Gegensätze in schwebende, spannungsgeladene Gleichgewichtszustände zu überführen. »Auf Polarität und Einheit«, so sagt er, »lässt sich alles zurückführen, worauf die Schöpfung grundsätzlich aufbaut«.
Angefangen hatte er mit einer dreijährigen Lehre in einem Fotoatelier für Hochzeits-Aufnahmen, Porträts und Passfotos. 1958 wohnte er in der Schnapsbude Kreuzherreneck, im Bobbies der Düsseldorfer Altstadt. Sein nächstes Quartier lag in einer kleinen Kabine in dem Bunker unter dem Carlsplatz. Dort hauste er zwei Monate im Dunkeln, vergrößerte seine Fotos und wässerte sie auf der Herren-Toilette des damaligen Kinos, das gleichfalls unter der Erde lag. Die Aufnahmen entstanden für die damaligen Kammerspiele unter Intendanz von Jörg Utzerath.
Er ist seiner Heimat treu geblieben. Seit 1990 wohnt er in Hösel, das Haus ist eine ehemalige Ballettschule für die Mädchen aus der Nachbarschaft, sein Atelier der ehemalige Ballettsaal. Vom Fenster aus kann er Rehe und Bussarde beobachten, und tief durchatmen, denn die Luft ist hier, vor den Toren Düsseldorfs, gut.
Ruthenbeck war neugierig und aufmerksam, beobachtete mit der Kamera Vernissagen, Performances, Künstlerfeste, Fluxus-Konzerte und etwa auch die Aktion von Gerhard Richter und Konrad Fischer im Möbelhaus Berges in der Altstadt. Die Künstlerkollegen waren begeistert von seiner Art, nicht nur das Motiv, sondern auch Atmosphäre mitzuliefern, den Qualm und das Gedränge im Szenetreff »Creamcheese« beispielsweise. 1962 begann er das Studium an der Kunstakademie – er kam in die Beuys-Klasse, war sofort präsent und startete 1966/67 mit einem eisernen Löffel, dessen Kopfteil mit Eisenbändern verschlossen ist.
Sein Galerist war Konrad Fischer, und auch sein Freund, der zunächst selbst noch malte und als Organisator von Asta-Karnevalsfesten beliebt war. Ruthenbeck besiegelte seinen Ruf als Künstler mit Aschehaufen, die er in der schlauchartigen Galerie Fischer auf den Boden kippte. Eine ganz ein-fache Kegelform: Skulptur, zur Essenz verdichtet. Ein Gedankenmodell, das sich zu einem eindrucksvollen Kunstwerk entwickelte. Die Düsseldorfer Kunsthalle-Chefin Ulrike Groos schwört auf Ruthenbeck und zeigt sich begeistert davon, »wie er mit Reduzierungen umgeht. Er macht nicht so viel Lärm und benutzt nicht so viel Farbe. Das Wesentliche auf den Punkt zu bringen, das gelingt ihm wie keinem anderen«.
Nicht nur klar in seinen Gedanken und Ausführungen, ist Ruthenbeck auch ein Mann mit Humor. Er kann sich amüsieren, wenn er an bestimmte Aktionen denkt und was dabei schief gegangen ist. Als er zum Beispiel nach Tokio eingeladen worden war, wo die Japaner für sein Projekt feine Kohle anstatt körniger Schlacke von der Müllverbrennungsanlage bestellt hatten. In Luzern wiederum hatte sich der Museumsmann Jean-Christophe Ammann vergriffen und drei Tonnen viel zu leichte Holzasche geordert. Das Volumen war entschieden zu groß, Mitarbeiter mussten den Haufen stundenlang aus dem Raum schippen.
Man verfrachtete Ruthenbeck in den 60er Jahren in die Ecke der Arte Povera. Die einflussreiche Galeristin und Kunsthändlerin Ileana Sonnabend sah ihn 1968 bei der Avantgarde-Messe »Prospect« mit dem Sack Asche und der Sackkarre herumfahren und verglich ihn mit ihren Künstlern aus Italien. Aber derartig subversiven Witz wie bei ihm gibt es in der Kunst der zeitgleichen Kollegen nicht. Im Eingang der Kunsthalle Düsseldorf hängt also ein riesiges schwarzes Tuch. Immer wieder wird es von oben mit Wasser befeuchtet, und das Wasser wird unten abgeleitet. Ein klatschnasses Entree zur Begrüßung, keine tonnenschwere Last wie bei Richard Serra, dennoch mit einer ähnlichen Wirkung des Verhinderns.
Ruthenbeck kommt ohne Materialschlachten aus. Die Skulptur steht nicht mehr fest gemauert in der Erde oder auf einem Sockel, sondern befindet sich in einem labilen, aber funktionstüchtigen Gleichgewicht. Im Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum und nun in Düsseldorf gibt es Wandarbeiten wie die »Weiße Bandraute« und die »Hängende Membrane«. Das rote Quadrat und der schwarze Kegel gehören dazu. Ein weißes, an sich formloses Band zeichnet lediglich die Kontur einer Raute. Die Wand liefert das Volumen des geometrischen Körpers, der eigentlich nur in der Vorstellung des Betrachters existiert. Der Metallrahmen domestiziert das geschmeidige Tuch, das eine vermeintlich stabile Form erhält. Humor sei für ihn »ein wichtiges Element, um Pathos zu brechen«, gab er vor einigen Jahren zu Protokoll: »Aber man muss aufpassen. Die humoristischen Künstler hängen mir zum Hals raus, die nur herum albern. Es muss auch hart bleiben, kernig.«
Ruthenbeck mag Störmanöver. Zu den 70er-Jahre-Arbeiten gehört »Guerilla-Kunst«, wie er es nennt. Da nisten sich etwa Objekte im Kühlschrank oder Schlüsselloch ein. Er erinnert sich an einen Stuhl, den er flugs umdrehte, als die Gastgeberin den Raum verließ. Auch derlei Möbel-Objekte werden in der Ausstellung gezeigt.
Selten zu sehen und zu hören sind seine »Geräuschstücke«. Dazu gehört das »Sörgeln«, lautmalerischer Begriff dafür, wenn Kinder am Strohhalm nuckeln und den letzten Rest aus ihren Gläsern auszusaugen versuchen. Zum realen Geräusch gesellt sich ein Foto zweier schlürfender Kinder, als solle das Abbild die Imagination des Betrachters beflügeln. Er ist ein Minimalist des Absurden, ohne der Minimal Art anzugehören. Manches scheint da von Blinky Palermo durch – in den Materialien und Formen, der Denkweise.
Trendy sind seine Sachen nicht. Es herrscht eine merkwürdige Ruhe um seine Kunst. »Nicht jeder kann Abstraktion ertragen oder lieben«, wehrt Ruthenbeck, der auf den Biennalen von Venedig und Sydney und mehrfach auf der Kasseler documenta vertreten war und zwanzig Jahre lang eine Professur für Bildhauerei in Münster inne hatte, etwaige Fragen ab. Um hinzuzufügen: »Ich mache nicht Kunst mit dem Anspruch, die Welt zu verbessern. Oder die Kunst zu verbessern. Das habe ich nie getan. Es ist eigentlich nur für mich und erst dann für die anderen.«
Immer wieder hat er mit einem Tisch als Medium gearbeitet. Berühmt ist der Tisch mit gelber Kugel von 1985, der gleich nach rückwärts zu kippen scheint. Man weiß nie genau, ob er nicht doch etwa tanzen wird. 1971 hatte er ein dunkles Tuch an vier Stellen unter der Decke so befestigt, dass die straffe quadratische Fläche mit den lose herabhängenden Seiten die Form eines imaginären, unter der Decke schwebenden Tisches ausspart. Das Tuch suggeriert das Bild des Tuches. Erst in der Abwesenheit von Etwas wird die Anwesenheit von Etwas begriffen. //
Das Wilhelm Lehmbruck Museum konzentriert sich in 40 Objekten und Installationen, Fotos und Zeichnungen auf das Werk der 1960er Jahre; die Arbeiten sind nach Werkgruppen gegliedert (etwa die Möbel oder Aschehaufen); anschaulich zu beobachten ist die Entwicklung vom Massiven, Monolithischen zum Leichten, Transparenten. Die Kunsthalle Düsseldorf präsentiert große Arbeiten seit den 1970er Jahren, Geräuschstücke und scheinbar kinetische Objekte, in denen sich die konzeptuelle Strenge ins Spielerische umsetzt. Beide Ausstellungen laufen bis zum 11. Januar 2009; www.lehmbruckmuseum.de und www.kunsthalle-duesseldorf.de