// Hinterher sind die meisten klüger. Dennoch gibt es immer wieder welche, die sind es schon vorher (auch wenn sich dies in der Regel erst hinterher erweist). So fanden in den 1930er Jahren Millionen Deutsche Hitler faszinierend, nahmen die meisten ausländischen Politiker den Nazi-Kanzler nicht so ernst. Zur selben Zeit aber gab es auch Hellsichtige und Warner und Hitlerhasser, zu denen zählte John Heartfield (eigentlich Helmut Herzfeld, 1891–1968) – mit dem beispiellosen Witz und der Kaustik seiner Fotomontagen legte er Ab- und Hintergründe des Usurpators aus Braunau schonungslos bloß. Hitler mit zum faschistischen Gruß nach hinten geklappter Hand: »Hinter mir stehen Millionen!« Doch die Millionen sind Reichsmark, und sie fallen aus dem Portefeuille des Großkapitals in die Grußhand, deren Bedeutung damit klar wird. Dieses Bild kennt wahrscheinlich jeder.
Doch es gab zu jener Zeit einen weiteren Fotomonteur, der viel von Heartfield gelernt hatte, ähnlich begabt und ebenso produktiv war, aber auch etwas andere Wege einschlug: Marinus. Ihm widmet das Kölner Museum Ludwig nun eine in Deutschland längst fällige und dankenswerterweise ausreichend umfangreiche Ausstellung: »Hitler blind und Stalin lahm« – eine historisch lehrreiche und ästhetisch amüsante Schau, die nicht nur einen zu Unrecht vergessenen Politkünstler und visuellen Kommentator würdigt, sondern auch belegt, wie raffiniert, avanciert und en vogue die Fotomontage in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen war.
Erst 2007 wurde der Öffentlichkeit der letzte Beweis dafür präsentiert, dass sich hinter dem Pseudonym Marinus der Däne Jacob Kjeldgaard verbarg, 1884 in Kopenhagen geboren, 1964 vergessen in Paris gestorben. Dorthin war der akademisch ausgebildete Künstler 1909 emigriert, lebte dort als Teil der Boheme. Zur Montage und zum journalistischen Geschäft muss er bereits während der 1910er Jahre gefunden haben, jedenfalls gestaltete er Collagen für die Zeitschriften J’ai vu und VOILA. Ab 1933 aber beginnt seine große Zeit, er entwirft für Marianne, eine linksintellektuelle. illustrierte Wochenzeitung des Verlegers Gaston Gallimard, Fotomontagen zeitkritischen, vor allem hit- ler- und stalinfeindlichen, aber auch Appeasement-kritischen Inhalts, meist für die Titelseite. In den Jahren 1932 bis 1935 sowie 1938 bis 1940 erscheinen insgesamt 250 dieser fotografischen Karikaturen. Dutzende Marianne-Original-Aufmacherseiten hängen nun an den Wänden des Kölner Museums, zeigen Hitler als blöd blickenden Tristan und Winifred Wagner als Isolde vor opernhaftem Gewölk (22.2.1933). Zeigen Hitler selbdritt als Kanzler, Reichsführer und Reichswehr-Chef vor Soldaten (8.8.1934). Hitler als Hochspringer, als »Gott des Stadions« (24.8.1938). Zeigen einen Totenschädel mit Hitler-Frisur (6.3.1940). Oder Hitler als King Kong mit dem Völkerbund als weißer Frau in der Tatze. Die titelgebende Collage von 1940 setzt einer Skulptur von Jean Turcans mit Namen »Der Blinde und der Lahme« Köpfe von Hitler und Stalin auf. In einer anderen Komposition spielen Hitler und Mussolini Schach um Österreich, die Vertreter von Frankreich, Russland, England, den USA sehen interessiert zu, Kanzler Schuschnigg steht halb draußen, an den Türrahmen gelehnt. Drei Tage nach Erscheinen marschiert Hitler in Österreich ein. In diesem Fall ist das Original zu sehen: Man erkennt, wie überaus gekonnt, nämlich feinst geschnitten und perfekt retuschiert, Martinus’ Montage gearbeitet ist. Oft dienen dem Künstler Gemälde der Kunstgeschichte (Leonardo, Breughel, Delacroix u.a.) als Ausgangsbild, aber auch Standfotos aus Filmen jener Zeit (»Ben Hur«). Zu allermeist bearbeitet er politische Themen, aber auch der Wandel des Frauenbildes ist ihm Thema: Da klettert Marlene Dietrich, ganz Kerl und in Hosen, in Paris aus dem Zug, der Kofferträger aber trägt einen Faltenrock (31.5.1933). Fast alle noch erhaltenen Montage-Originale sind in Köln zu sehen.
Montagen von Heartfield sind ebenfalls einige ausgestellt und lassen den Vergleich zu. Ob der eine Monteur den andern je getroffen hat, weiß man nicht (obwohl Heartfield 1935 in Paris weilte); dass der Däne von dem Deutschen gelernt hat, ja gelegentlich dessen Motive kopierte, ist offenkundig. So lässt auch Marinus Hitler auf einer Schindmähre über Leichen reiten und benutzt dazu eine Vorlage Franz von Stucks, grad so, wie es Heartfield zuvor getan hatte; bei beiden balancieren Hitler und seine Paladine auf einem Seil. Dennoch gibt es erkennbare Unterschiede zwischen beiden, politischer und ästhetischer Natur. John Heartfield ist Kommunist, für ihn der Nationalsozialismus eine Marionette des Großkapitals (weswegen er 1968 wieder beliebt wird), ist Kritik an Stalin tabu. Marinus hingegen denunziert auch den Stalinismus, wenngleich der Nazismus sein Haupt- und Lieblingsgegner ist. Er dämonisiert Hitler, aber macht ihn auch lächerlich und hält ihn (und Stalin) für Operettenfiguren. Ob der Hitlerhasser Marinus tief heimlich von Hitler fasziniert war? Jedenfalls gibt es Montagen, die Hitler als Hamlet mit dem Totenkopf zeigen; Hitler als Rodins Denker, überlegend, wen er als nächstes angreift; Hitler als Laokoon; Hitler als »Geist des Bösen« nach von Strucks Gemälde »Sinnlichkeit«. In all diesen Arbeiten kommt dem Diktator eine seltsame Ambiguität zu, die ihn auch als Grübler, Getriebenen, Verführer zeigt. Undenkbar für Heartfield. //
Bis 19. Oktober 2008. Tel.: 0221/221-26165. www.museum-ludwig.de. Katalog bei Steidl, 39 Euro.