// Nordrhein-Westfalen ist groß. Aber nicht schön. Es leuchtet und strahlt nicht genug. Weswegen es außerhalb seiner selbst nicht genug wahrgenommen wird: Selten tragen deutsche Spitzenleistungen von Kunst und Kultur die Herkunftsbezeichnung (einer Stadt in) NRW. Eine Diagnose dieses Misstandes lautet: Es gibt ein Zuviel an Breite und ein Zuwenig an Höhe im Bindestrichland. Dieser Ansicht neigen gewiss auch zwei Institutionen zu, deren Aufgabe per definitionem das Zentralisieren und das Spitzendrehen sind: die Landesregierung sowie die Kunststiftung NRW, die nur das Beste fördert. Diese beiden nun haben 2007 eine Expertenkommission beauftragt herauszufinden, »mit welchen kulturpolitischen Maßnahmen NRW deutlicher als bisher seinen Platz im nationalen und im internationalen Ranking einnehmen kann«. Die Aufgabe hat die Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Bahn-Vorstandes Heinz Dürr erfüllt und vor der Sommerpause das Ergebnis ihrer Evaluierung präsentiert: zwanzig »Vorschläge« (vorrangig) und zehn »Empfehlungen« (nachrangig) dazu, was in Sachen Kultur in NRW besser werden könnte.
Der Auftrag selbst ist bereits Ausdruck der bekannten Misere im Bindestrich-Land: dem mangelnden Selbstbewusstsein gegenüber den traditionsreichen Metropolen München, Hamburg und Berlin. Ob faktisch oder psychologisch begründet: Es fehlt an Urbanität, auch wenn ihr Vorhandensein in Sonntagsreden und Hochglanzbroschüren behauptet wird. Solange beispielsweise die künftige Kulturhauptstadt Ruhr mit Essen als dem Standort des Designzentrums NRW ihren Werbeetat einer Hamburger Agentur überträgt, solange die Kunststiftung NRW ihre erste Buch-Publikation von einer Berliner Firma gestalten lässt, ist es um die Identität des Kreativlandes NRW nicht zum besten bestellt.Es geht also um Grundlegendes. Eine kulturpolitische Flurbereinigung soll her. Insofern ist der Bericht ein brisantes Papier. Man hat den Eindruck, dass sich seit seiner Veröffentlichung im Juni so recht niemand im öffentlichen Raum die Finger daran verbrennen will. In der Tat lesen sich die »Vorschläge und Empfehlungen« teils so extrem, als sei Alexander Kluges Diktum, »in Gefahr und größter Not / bringt der Mittelweg den Tod« das Motto gewesen. Die brisantesten Punkte lauten:»Bühnen der Stadt Köln werden Staatstheater Köln. Musiktheater und Schauspiel Essen werden Staatstheater Essen. Das Gürzenich-Orches- ter Köln wird ›Staatsphilharmonie Nordrhein-Westfalen‹. Kunstbestände in Nordrhein-Westfalen zentral erfassen und Sammlungsschwerpunkte bilden. Literarisches Zentrum NRW einrichten« und einige mehr.
Die Reaktionen auf das 90-Seiten-Papier, dessen Umsetzung sich auf mindestens 60 bis 100 Millionen Euro addieren würde (bei einem Landeskultur-Förderetat von derzeit zirka 120 Millionen), sind wiederum typisch für Nordrhein- Westfalen. Sie betrachten die Sache vorrangig lokalbezogen: Was nützt oder schadet es (m)einer Stadt oder Institution im Einzelfall? Die einen jubilieren (Essen, Köln), andere schmollen (Bochum, Duisburg, Düsseldorf), schweigen oder rebellieren (vor allem die Randzonen jenseits von Rhein und Ruhr). Denn auf einen – sehr verkürzten – Nenner gebracht, läuft der Bericht des Zehner-Rats, dessen Durchschnittsalter in dem offenbar für Weisheit vorbehaltenen Spektrum von 60 bis 65 Jahren liegt, hinaus auf: örtliche und institutionelle Konzentration; Zentrierung; »Verstaatlichung«. Denn (höhere) Mitfinanzierung würde Mitsprache und Verantwortlichkeit des Landes bei bislang städtischen Einrichtungen zur Folge haben.Um die »Kernmarke« Kunst und Kultur zu verbessern und besser zu vermitteln, werden gängige Methoden empfohlen: Cluster-Bildung, Netzwerk-Knüpfung, Label-Setzung, Einrichtung von Schaltstellen, Koordinations-Maßnahmen, Synergie-Effekte. Dass mit all dem die Autonomie der Kommunen berührt, wenn nicht teilweise ausgelöscht würde, ist zunächst ganz nüchtern festzustellen. Die Gewichte im grün-weiß-roten Bundesland der Städte mit deren Eigensinn und jeweiliger Eigenart würden sich gravierend verschieben, auch insofern, als eine gezielte Mittelzuwendung des Landes für ausgewählte Einrichtungen den Wettbewerb verzerren und zwangsläufig zu einem Ungleichgewicht führen würde.Betrachten wir einige Vorschläge von nahem, etwa den zur Schaffung von Staatstheatern in Essen und Köln.
Als Begründung für eine solche Umwandlung bislang städtischer Bühnen wird die finanzielle Lage der Kommunen genannt – die ist in der Tat angespannt. Durch eine Landesbeteiligung würde sich die Spannung ein Stück weit lösen, gewiss; doch um welchen Preis! Die Kultur ist der einzige Sektor, auf dem eine Kommune frei gestalten kann. Diese Freiheit wäre um genau dasselbe Stück dahin. Historisch bedingt erbringen in NRW die Städte einen im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr hohen Anteil kultureller Leistungen. Die Kommission weiß dies, aber bleibt das Argument schuldig, warum diese Besonderheit auf einmal überholt sein sollte. Denn die Armut der Kommunen könnte das Land auch auf anderem Wege lindern, als dem, sich in deren Kulturinstitutionen einzukaufen. Das Land müsste mit seinen Stützungsmaßnahmen vielmehr die Eigen-Initiative und -Verpflichtung der Städte anspornen – auch dafür gibt es Modelle. Außerdem: Mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus hat man seit jeher ein halbes Staatstheater. Und damit die Erfahrung, dass eine finanziell üppige Ausstattung nicht automatisch zur künstlerischen Mehrleistung und die Intendanten-Berufung durch ein verdoppeltes Gremium (Stadt und Land) zweimal hintereinander nicht zu Ergebnissen geführt hat, die sich im nationalen Vergleich mit den 1-A-Häusern messen ließen.
Warum aber ausgerechnet Essen und Köln? Die Begründung der Kommission (in der Frank Baumbauer den Sprechtheater-Fachmann vertritt, ein Opern-Spezialist fehlt), zusammengefasst, lautet: Essen, weil Oper und Schauspiel so gut sind und Essen 2010 Kulturhauptstadt wird; Köln, weil, Oper und Schauspiel so schlecht sind bzw. waren. Fazit: »Das Kölner Theater muss im deutschsprachigen Raum mit Berlin, Hamburg, München, Zürich und Wien konkurrenzfähig werden können.« Es verwundert schon sehr, wenn Essen unter Anselm Weber (berechtigt) belobigt und dem Grillo als Revier-Zentrale eine exemplarische Aufgabe zugesprochen, darüber aber das Schauspielhaus Bochum außer Acht gelassen wird, das angesichts seiner Theatergeschichte viel eher dazu geeignet wäre und lange das inoffizielle und heimliche NRW-»Staats«-Theater abgab. In Bochum wird eine momentane Schwäche bestraft, in Köln und Essen wird momentane Stärke, vielleicht etwas voreilig, belohnt. Zudem würde das Missmanagement der Stadt Köln, die ihr Schauspielhaus in der Besetzung von Positionen und in der Instandhaltung der Gebäude über Jahre hin geradezu fahrlässig behandelt hat, nachträglich vergoldet.
Anders sieht die Situation für das Aalto-Musiktheater aus, dessen kontinuierliche, bundesweit unbestrittene Qualität sich das Prädikat »Staatstheater« ohne Zweifel erspielt hat und dem mit größerer Finanzstärke vermutlich tatsächlich noch mehr Leuchtkraft zuströmte. Aus dem Gürzenich- Orchester ein Staatsorchester zu machen, ist wiederum heikel, weil der Musikkörper bis in seinen Namen hinein organisch städtische Verwurzelung besitzt. Und wenn es darum gehen soll, wie Kölns Kulturdezernent Georg Quander im Gespräch mit K.WEST sagt, dort draufzulegen, wo der Sockel bereits hoch ist (also in Köln), dann würden sich eben auch andere als die in dem Bericht genannten Lösungen anbieten. Vielleicht aber ist die Mehrzahl der Vorschläge der Kommission (die bereits die zweite im Land ist, nachdem im Jahr 2000 eine von der damaligen Kulturministerin Ilse Brusis berufene Fachrunde eine Expertise vorgelegt hatte, aus der verwandelt die RuhrTriennale hervorging) einfach nur naiv.
Zweites Beispiel Film. Mit Blick auf die Filmstiftung NRW und ihre Aktivitäten kann man da lesen, sie mögen sich »hin zu einer intensivierteren kulturellen Ausrichtung der Förderung« öffnen. Die Propheten im eigenen Land werden seit Jahren nicht gehört, die genau an diesem Punkt bestehende Defizite aufzeigten, auf Okkupations-Maßnahmen, selbstrefenzielles und selbstherrliches Gebaren der Filmstiftung und den Zirkel der »lokalen Player«, die sich im Wechsel Gutes tun, hinweisen. Ob sich jedoch die Heimholung Tom Tykwers realisieren und durch Residenz-Künstler eine NRW-spezifische thematische und ästhetische Filmsprache kreieren lässt, bleibt mehr als fraglich, wenngleich wünschenswert. Seltsam mutet der Hinweis an, bei den Filmfestivals ausgerechnet die Köln-Bonner KunstFilmBiennale als zukunftsweisend und besonders forderwürdig zu positionieren, während Oberhausen und Duis- burg mit ihren Kurzfilm- und Dokumentarfilm-Festivals nun wahrlich gewachsenen Rang vorzuweisen haben. Da hat man den Eindruck, dass persönliche Vorlieben oder Direktiven die Wahrnehmung gelenkt haben.
Drittes Beispiel Literarisches Zentrum: Ein solches ist an sich etwas Schönes, vor allem wenn man sich vorstellt, dass dort die großen Schriftsteller der Welt residieren. Ein Vorschlag, wie ein solches Haus neben oder gegen die im Land existierenden Literaturhäuser und -büros bzw. über sie hinweg eingerichtet werden könnte, wäre allerdings noch schöner gewesen. So macht die Kommission den Eindruck mangelnder Kenntnis und realitätsferner Träumerei. Dito im Fall der »Empfehlung«, das Beuys-Zentrum von Schloss Moyland nach Düsseldorf zu verlegen – die Beuys-Werke (Sammlung van der Grinten) gehören dem Land nicht, wer also soll diese Verlegung in die Wege leiten? Realistischerweise hat Ministerpräsident Rüttgers schon bei der Vorstellung des Kommissionsberichts diesen Vorschlag abgelehnt. Nicht anders im Fall der Idee, in den Museen des Landes »Sammlungsschwerpunkte« zu bilden (»Warum sollen Arbeiten von Joseph Beuys in 30 Museen gezeigt werden und nicht schwerpunktmäßig in vier oder fünf?«). Weiß die Kommission nicht um die Kompliziertheit von Leihgabenverträgen?
Man könnte immer so weiter machen, die allgemeinen Vorschläge wohlwollend benicken, die konkreten indes kopfschüttelnd belächeln. Eine Erhöhung der finanziellen Mittel für Theater, Mu-sik, Kunst (wie gefordert) ist immer gut. Prima. Aber: Welche internationale Reputation könnte NRW durch ein »Center for advanced studies« erwachsen, das »transdisziplinäre Projekte mit vorwiegend interkultureller und wirtschaftlicher Ausrichtung« sowie den Forschungs- feldern »Gender, Urbanismus und Postkolonialismus« aufgreift? Und welche Landesregierung sollte dafür jährlich drei Millionen Euro hergeben? Kurz: Die vielen Wahrheiten und Halbwahrheiten der Analyse riskieren zwar den Blick über alles Kleinteilige hinaus, vermeiden das hierzulande beliebte, aber qualitätsverhindernde Proporzdenken. Verlieren sich aber zu oft im Phantastischen bis Abstrusen. (Und einmal im Peinlichen, wenn empfohlen wird, der eine Auftraggeber – die Landesregierung – möge dem andern Auftraggeber – der Kunststiftung – die Mit- tel erhöhen.)
Zuklappen sollte man den Kommissionsbericht allerdings nicht. Im Gegenteil, eine Debatte über ihn muss beginnen. Mit und zwischen allen Akteuren im Land. Und zwar angestoßen von Regierung und Parlament. Damit die Ideen nicht im lokalen Gezänk zerrieben werden. //
Wo bleibt die Freie Szene?
Von Christian Esch
// Da liegt es also vor uns, das Ergebnis eines gewagten Blicks von außen. Die Kommission, dieser geladene Floh im Landespelz war jedenfalls kregel, sprang von Stadt zu Stadt – nur den Norden scheute er –, nistete in den vielen Kulturbereichen, und stach auch. Mit allerdings unterschiedlicher Präzision.
Staatstheater, Staatsorchester, Staatsensembles – folgt man den Vorschlägen der Kommission, so macht die Kultur in NRW zukünftig mehr Staat und der Staat dafür mehr Kultur. Je nach Blickwinkel paradox oder logisch wirkt die vorgeschlagene Konzentration (wirklich ohne Schauspiel Bochum?) im dezentralen Dickicht der Städte. Nur auf den ersten Blick ein Vorteil wäre, dass manche Kommune punktuell entlastet würde. Doch die Sache liegt grundsätzlicher, denn Kultur, das ist in NRW, dem Land der meist armen Städte, »vorwiegend Sache der Kommunen«. Dort klaffen allerdings immer größere personelle und finanzielle Lücken. Auch in Zeiten der zu Recht groß geschriebenen Kulturellen Bildung werden vielerorts Bibliotheken geschlossen, Musikschulen zugrunde gespart, wird kommunale Theaterarbeit eingeschränkt. Weitere »freiwillige Leistungen« im Bereich Kultur und Bildung stehen zur Disposition. Allem gesteigerten Einsatz seitens des Landes, so enorm wichtig er ist, zum Trotz: Für die Kultur in NRW wird so die Decke von Jahr zu Jahr dünner. Schon städtische Finanzierungsanteile bei Kulturhauptstadtprojekten können bzw. dürfen oft nicht mehr aufgebracht werden.
Trotzdem findet die international relevante Kulturarbeit oft in den Kommunen statt. Von um so größerer Bedeutung ist deshalb der Vorschlag, internationale Kulturarbeit stärker mit den Städten und der Kompetenz ihrer Einrichtungen zu verbinden, für die das NRW KULTURsekretariat seine Arbeit leistet. So weit, so gut.
Aber da war noch was …? Richtig: Freies Theater. Es gibt eine recht »beeindruckende Zahl« fester und freier Theater in NRW, ist da zu lesen – stimmt! Nur: Vorschläge zum Freien Theater sucht man vergeblich.
Und doch würde es sich lohnen, in dieser Theaterdichte qualitativ zu fördern. Notwendig sind dafür auch verbesserte Produktionsbedingungen, um so Freies Theater aus NRW konkurrenzfähiger zu machen. Kalter Kaffee? Nein, eine Plattform, auf der ausgewählte Ensembles produzieren können, mit technischer und logistischer Unterstützung, könnte da schon helfen. Das muss nicht unbedingt ein großer Apparat wie das Hamburger Kampnagel sein. Aber eine schlanke, projektbezogene Struktur, an der vielversprechende freie Theaterproduktionen Unterstützung erhalten und (öffentliche) Proben durchführen können – das wäre schon ein großer und effektiver Schritt hin zu einer Konzentration auf die Weiterentwicklung eines strahlkräftigen Freien (Musik-)Theaters in diesem Lande. Freies Theater und freie Kultur sind ein un-verzichtbares Fundament und könnten viel häufiger Spitze für die Kultur dieses Landes sein, das zwar weithin sichtbare Leuchttürme von Kunst und Kultur braucht, aber eben auch eine tragfähige Basis. Sie nicht bröckeln zu lassen und mit Blick auf künstlerische Potenziale möglichst zu verbreitern, das sollte zu den Zielen von langfristiger Kulturförderung gehören.
Auch schon vorhandene, strahlkräftige Leuchttürme müssen allerdings erhalten und gepflegt werden. Zunächst einmal, indem man sie schlicht wahrnimmt. »Impulse«? Ja, doch, die gibt es. Tatsächlich ist das seit inzwischen Jahrzehnten wichtigste und jüngst erfolgreich runderneuerte deutschsprachige Festival des Off-Theaters ein bedeutender Teil der Freien Theaterkultur in- und außerhalb von NRW: ein in seiner Konstruktion einmaliges, von vier Städten getragenes Ereignis der Sonderklasse von großer auch internationaler Resonanz. Hätte man nicht vorschlagen oder fragen können, wie sich hier eine längerfristige Finanzierungssicherheit herstellen lässt? Aber auf eine solche unerfüllte Erwartung zu verweisen, sieht schnell, obwohl von allgemeiner Bedeutung, nach bloßem »pro domo« aus. Apropos Haus: Wären wir von nur einem der Verfasser dieser ebenso anregenden wie anfechtbaren Publikation gefragt worden – wir hätten gern geantwortet. //
Dr. Christian Esch ist Direktor des KULTURsekretariat NRW (Wuppertal)
Und nun, bitte, nützliche Fakten
Von Stefan Soltesz
// Ich habe mich über den Vorschlag, mein Haus in den Rang eines »Staatstheaters« zu erheben, sehr gefreut! Es ist beachtlich, dass ein deutschlandweit unabhängiges Gremium unsere Arbeit damit anerkennen möchte. Mit dieser vorläufig nur ideellen Ehrung verbinde ich die Hoffnung, dass nicht mehr nur unabhängige Experten die hervorragende künstlerische Qualität des Aalto Theaters zu schätzen wissen, sondern auch die Lokalpolitik unsere Arbeit anerkennt und uns von Sparmaßnahmen verschont.
1959 erhielt Alvar Aalto den ersten Preis für sein Modell eines Musiktheaters in Essen. Erst 1988 konnten die Essener Bürger dann die erste Opernaufführung im neuen Haus genießen. Es wäre schade, wenn es wieder Jahrzehnte bräuchte, um aus einer zukunftsweisenden Idee für uns nützliche Fakten zu schaffen. //
Stefan Soltesz ist Intendant des Aalto-Theater und Generalmusikdirektor der Essener Philharmoniker
Prinzip Stadttheater
Von Anselm Weber
// Für uns bedeutet die Nennung in dem Expertenpapier zu allererst eine Bestätigung unserer Arbeit. Dabei geht es weniger um den Titel »Staatstheater« als um die Gewissheit, dass unsere Arbeit nach drei Jahren nicht nur regional, sondern jetzt auch überregional beachtet wird. Das freut uns natürlich und ist ein Ansporn für die Zukunft.
Liest man die Begründung genau, so sehen wir uns in unserem Ansatz zum Stadttheater bestätigt. Unsere Produktionen und unsere Auffassung von Theater haben sich immer aus unserem Verhältnis zur Stadt und zur Region definiert. Natürlich würden wir es begrüßen, wenn das Land in Zukunft diesen Weg finanziell unterstützen würde, um so die Sicherung und den Ausbau dieser Entwicklung zu gewährleisten. Grundsätzlich würde durch ein solches Engagement also kein neuer »Leuchtturm« gefördert werden, sondern ein Kulturgedanke, der mit seinem Bezug auf regionale Hintergründe keinen überregionalen Vergleich scheu-en muss. //
Anselm Weber ist Intendant des Schauspiels Essen
Alle Impressionisten nach Wuppertal?
Von Gerhardt Finckh
// Prinzipiell ist es zu begrüßen, wenn sich eine Landesregierung auf Experten stützt, um geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der Kultur im Lande zu erreichen, und die empfohlene Aufstockung des zentralen Ankaufsetats für die Museen (bei der Staatskanzlei) von einer Million Euro jährlich auf zehn Millionen kann man nur begrüßen.
Weniger glücklich ist die Idee, die Kunstbestände in NRW zentral zu erfassen und durch Verschiebung einzelner Sammlungsteile Sammlungsschwerpunkte zu bilden; denn dies verkennt die historischen Gegebenheiten der Museen in NRW. Deren Sammlungen sind in der Regel planmäßig zusammengetragen, Lücken mit Bedacht gefüllt, um als lebendiges ästhetisches Archiv der Nachwelt Zeugnis zu geben von den Vorstellungen, die ein Gemeinwesen in einer bestimmten Zeitperiode bewegt haben. Diese Sammlungszusammenhänge willkürlich auseinander zu reißen, nur um an bestimmten Orten neue Schwerpunkte zu bilden – etwa nach dem Motto »alle quadratischen Bilder ins Quadrat nach Bottrop; passend zu den Stadtfarben alle rot/weißen Bilder nach Köln; alle Expressionisten nach Essen und alle Impressionisten nach Wuppertal« –, ist völlig ahistorisch gedacht und würde auch jeden Stifter- willen mit Füßen treten, da die Bürger der NRW-Städte ihre Kunstwerke schon ganz bewusst in »ihr« favorisiertes Museum gegeben haben. Und wer wollte schon in einem Museum nur quadratische Bilder sehen? Da wäre doch die Ödnis vorprogrammiert.
Wenn das Land NRW seine Museen, und 99 Prozent der Museen dieses Landes sind kommunale oder private Einrichtungen, fördern will, dann wäre eher darüber nachzudenken, ob es nicht besser bei großen Ausstellungs- vorhaben eine »Staatshaftung« für die gelie-henen Kunstwerke übernimmt, was bei den derzeit hohen Versicherungskosten den kommunalen Museen eine große Erleichterung brächte. Oder ob das Land den kommunalen Museen mit Finanzspritzen zum Ausbau von deren Infrastruktur (vom Internetauftritt über Computerausstattung, Audioguide-Systemen bis hin zur Schulung von Personal) zu Hilfe kommt. //
Dr. Gerhard Finckh ist Direktor des Von der Heydt-Museum Wuppertal
Keine Fusion
Von Marie-Luise Angerer
// Der wiederaufgetauchte Vorschlag, die Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM) und die internationale filmschule köln (ifs) zusammenzulegen, löst mehr Irritation als Verständnis aus. Aus meiner Sicht lassen sich zwei Momente anführen, die einer Zusammenlegung der beiden (Hoch-)Schulen widersprechen.
Das strukturelle Moment: Die ifs kooperiert mit einer Fachhochschule mit anwendungsbezogenem Profil und bildet berufsbezogen aus. Die KHM ist Hochschule und bietet ein breites, medienübergreifendes, künstlerisches Studium an.
Das inhaltliche Moment: Die ifs bietet verschiedene Bachelor-Studiengänge (wie Regie, Produktion) an, die KHM bietet ein 8-semestriges Grundstudium sowie ein 2-jähriges postgraduales Studium an. Beide Studien, das grundständige sowie der postgraduale Zweig sind, interdisziplinär und verfolgen eine integrative künstlerische Kreativität. Die KHM hat sich erst jüngst nochmals zu diesem integrativen Ansatz bekannt, indem wir zukünftig drei Schwerpunktsbereiche anbieten werden: Kunst, Film, Wissenschaft/Forschung.
Mein Wunsch an die Politik: Diese beiden unterschiedlich hervorragend arbeitenden Institutionen nicht ständig durch Zusammenlegungsandrohungen zu irritieren, sondern statt- dessen Kooperationen dort zu forcieren, wo diese Sinn machen und eine vernünftige Ergänzung darstellen. //
Prof. Dr. Marie-Luise Angerer ist Rektorin der KHM
Das Starke stärken: Köln
Georg Quander im Gespräch mit K.WEST
// Von den 18 nicht auf NRW als Ganzes, sondern auf eine einzelne Stadt (bzw. eine örtliche Institution) bezogenen Qualifizierungsvorschlägen der Experten-Kommission betreffen allein sieben die Stadt Köln – knapp 40 Prozent. Ein Umstand, der den Kölner Kulturdezernenten Georg Quander (parteilos) nicht weiter verwundert: Für ihn ist dies die Konsequenz aus der in NRW einzigartig hohen »kulturellen Gravitationsmasse« der Domstadt. Wenn es darum gehe, so Quander im Gespräch mit K.WEST, das Bundesland als Ganzes nach außen sichtbarer zu machen, dann müsse man eben auf denjenigen Sockeln aufbauen, die am höchsten seien. Und zu denen zähle nun einmal Köln. Wobei man die Stadt nicht isoliert, sondern als das Oberzentrum des »alten Kulturlandes Rheinland« betrachten müsse, das durch die Vorschläge der Kommission wieder in gewachsene Rechte eingesetzt würde. In der Vergangenheit sei schließlich vorwiegend Geld nach Düsseldorf und ins Ruhrgebiet geflossen. Ihn verwundere lediglich, dass im Kommissionspapier die Bedeutung Kölns als Kunst- und Museumsstadt wie ein abgeschlossenes historisches Kapitel behandelt werde.
Die Gefahr einer Beeinträchtigung der kommunalen Gestaltungshoheit durch die Einrichtung eines Staatstheaters und einer Staatsphilharmonie Köln sieht Quander nicht; schließlich schließe man in so einem Fall Verträge. Dass hernach das Land über Leitungspositionen (und damit indirekt über Inhalte) mit entscheide, »das muss man dann aushalten. Man bekommt ja auch etwas dafür.« Der Kommission gehe es um die kulturelle Stärkung des gesamten Landes, und eine sol-che Leistung könnten einzelne Kommunen allein nicht erbringen. Für die kommenden Monate wünscht Quander sich eine »breite politische Diskussion in Regierung und Landtag, damit wenigstens etwas von den Vorschlägen verwirklicht« werde. // UDE