// Die Spezies derer, die öffentlich Wasser predigen und heimlich Wein saufen, ist weder bedroht noch gar ausgestorben. Auch wenn seit der Vertreibung des Klerus von der Macht die besonders fetten Exemplare dieser Gattung seltener geworden sind. Tartuffe lebt, so lange Konventionen leben; einer Aufführung von Molières begriffsbildendem Stück kommt nach wie vor gesellschaftskritische Bedeutung zu. Es ist daher eine Aussage, wenn man »Tartuffe« (Uraufführung 1664) als schöne Schnurre inszeniert, die man den Kindern abends vorm Einschlafen serviert. Wie es Regisseur Rafael Sanchez am Essener Grillo-Theater tut, wo nach dem glücklichen Ausgang der bösen Intrige ein riesengroßes Kinderge-sicht (per Film) von hinten in den Bühnenkasten äugt, um dann vom Papa ins Bett geschickt zu werden. Wobei der glückliche Ausgang selbst statt vom König von der Crew des Raumschiffs Enterprise besorgt wird, die den Betrüger kurzerhand von hinnen beamt. Ein doppelt gemoppelter Distanzierungsgestus, der sich gegenseitig im Wege steht.
Die Schnurre davor aber ist eine kurzweilige. Bemalte Prospekte zu allen drei Seiten bilden ein leicht karikatureskes Rokoko-Gemach, gespielt wird in passend historisch-komischen Kostümen (Thomas Dreißigacker, Ursula Leuenberger). Die adäquat ernst-ironische Spielweise bringt allerdings nur Sabine Osthoff als Zofe Dorine vollendet
zustande, den Rest des Ensembles versetzt die Regie zwar immer wieder in spieluhrartig verfremdete, gut choreografierte Intermezzi, aber nicht in Leichtigkeit. Andreas Grothgar verwehrt seinem Tartuffe gar die Doppelgesichtigkeit, die ein Schwindler zwingend braucht, und gibt ihn eher als toughen usurpatorischen Manager – der Kieselstein im Spieluhrgetriebe. UDE