// Beim Einschulungstest hört der Junge das erste Mal den Imperativ der Integration. Von der Mutter geflüstert, auf Slowenisch, in ihrer Sprache, weil sie des Deutschen, dessen Stand bei Sivo erhoben werden soll, kaum mächtig ist: »Rečinekaj«. Sag etwas. In dem ihr fremd gebliebenen Idiom des Gastlandes fügt sie dann doppeldeutig falsch hinzu: »Er versteht sehr gutes Deutsch.« Kurz darauf nimmt sie den Jungen bei der Hand und will mit ihm das Zimmer verlassen. Doch die Dame der Einschulungskommission hält ihn an der Schulter zurück. Fortan werden die beiden Kulturen bis zum Zerreißen an Sivo zerren, um ihn von der Schwelle auf ihre Seite zu ziehen.
Der Eintritt in das deutsche Schulwesen steht am Anfang von Thomas Podhostniks Debüt-roman »Der gezeichnete Hund«. Podhostnik, 1972 in Radolfzell am Bodensee selbst als Kind slowenischer Immigranten geboren, braucht nur wenige, sehr kurze Sätze, um in der Eingangszene anzulegen, was er auf den folgenden, knapp 100 Seiten entfalten wird: das Herauswachsen des Jungen aus dem Milieu der Gastarbeiter, die wachsende Entfremdung von den Eltern, den Versuch, aus ihrer Sprachlosigkeit auszubrechen, aber auch das Nie-heimisch-Werden in dem Land, in das er hineingeboren ist, das kulturelle Borderlining und die schwierige Identitätsfindung.
Podhostnik, der Soziologie, Politik und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studiert hat, schildert das Heranwachsen Sivos über knapp zwei Jahrzehnte: die nicht nur räumlich beengenden Verhältnisse, die den Stolz des Sohnes kränkende, demütigende Unterwürfigkeit des Vaters gegenüber den Deutschen, vergebliche Versuche, den Jungen in eine Tradition einzuüben, die der Heranwachsende zunehmend als rückschrittlich wahrnimmt, Sivos Emanzipation aus dem latent gewalttätigen Umfeld durch die Kunst, deren Attraktivität nicht zuletzt in der älteren Malkursleiterin Vera besteht. Bis Sivo, mittlerweile Student, selbst aufbricht und sich mit einem zeitlich begrenzten Einreisevisum als Geduldeter in einem fremden Land wiederfindet.
In zehn Kapiteln, bestehend aus kurzen Szenen, verdichtet Podhostnik diese Stationen. Die pointierte Dichte seiner Miniaturen kontrastiert auffällig mit der Lakonie der Beschreibungen und der parataktischen Einfachheit des Tons. Erzählt wird in »Der gezeichnete Hund« durchgängig aus der Perspektive Sivos. Auf geradezu provozierend unsentimentale Weise bleiben Sivos Notate auf die Oberfläche der Dinge fixiert. Nicht wie er erlebt, sondern was er beobachtet, wird von ihm festgehalten. Denn die perfekt angeeignete, letztendlich aber immer noch fremde, ja entliehene Sprache ist ihm ein kalt gehandhabtes Instrument, um Distanz zu schaffen: zur Scham, zur eigenen Familie, zu den Deutschen, genauso wie zu sich selbst.
Anders als literarische Grenzgänger wie etwa Terézia Mora, Feridun Zaimoğlu oder Saša Stanišić, denen die deutsche Sprache nicht oder als eine von zweien in die Wiege gelegt worden ist und die so immer auch vor dem Hintergrund einer Fremdheitserfahrung schreiben, importiert Thomas Podhostnik weder eine poetische, noch eine anarchische Sensibilität in die Literatur. »Der gezeichnete Hund« ist stattdessen geprägt von der Scheu, den Worten zu viel anzuvertrauen. Dass dieses Misstrauen in die Ausrucksmöglichkeit nicht in Monotonie und Fadheit umschlägt, zählt zu den großen Vorzügen dieses kleinen Romans. Gelingt es Podhostnik doch, nicht nur Selbstmitleid und Rührseligkeit zu vermeiden, sondern auch die bei derartigen Geschichten häufig anzutreffende Opferperspektive. Es ist eben doch ein Unterschied, ob jemand sein stilistisches Register bewusst auf Exaktheit reduziert, oder ob es ihm nur eingeschränkt zur Verfügung steht. Letzteres ist bei Thomas Podhostnik mitnichten der Fall. Man darf schon jetzt auf das gespannt sein, was er diesem Debüt folgen lassen wird. //
Thomas Podhostnik: Der gezeichnete Hund. Luftschaft, Wien 2008, 100 Seiten, 15,50 Euro