// Seit 1775 hieß die Buchhandlung in Essen an der Ruhr G. D. Baedeker. Durch Heirat am 20. Juli dieses fernen Jahres hatte Zacharias Baedeker eine Druckerei und den Verlag der »Essendischen Nachrichten« übernommen und firmierte seither unter dem Namen seines Vaters Gottschalk Diederich. Weltweite Berühmtheit erlangte der Name Baedeker durch Zacharias‘ Enkel Karl, der 1835 den modernen Reiseführer erfand und sich mit einem Verlag in Koblenz selbstständig machte. 225 Jahre nach der Unternehmensgründung feierten die Buchhändler des renommierten Traditionshauses an der Kettwiger Straße, mitten in der Essener Innenstadt, das seltene Jubiläum mit einem großen Fest im gegenüberliegenden Kino »Lichtburg«. Hellmuth Karasek hielt die Geburtstagsrede.
Kaum acht Jahre später müssen sich die Buchkunden im Ruhrgebiet nun damit vertraut machen, dass alle Tradition und die ehrwürdigste Vergangenheit weniger wert sind als der nichtssagende Markenname einer landesweit operierenden Buchhandelskette. Seit dem 9. Juni 2008 heißt die Buchhandlung im Baedekerhaus nun Thalia. Die McDonaldisierung des Einzelhandels stürmt die letzten Bastionen kaufmännischer Individualität, Corporate Identity und Corporate Design sind die Zauberworte eines Effizienzstrebens, das für lokalhistorische Sentimentalitäten nur ein müdes Lächeln übrig hat. Geschichte gehört ins Museum, wirtschaftlicher Erfolg wird nun mal an der Ladenkasse entschieden.
Den Zug der Zeit aufhalten zu wollen, das käme einem Kampf gegen Windmühlenflügel gleich, aber ein tiefes Bedauern über den Verlust zu äußern, für den die Umbenennung von »Baedeker« in »Thalia« nur ein Zeichen für viele ist – das sollte erlaubt sein. Unsere Innenstädte werden immer verwechselbarer mit jedem alten Namen, der erlischt. Die alte Kaufmannsregel, dass Konkurrenz das Geschäft belebe, gilt im Elefantenrennen der wenigen verbleibenden Giganten in den verschiedenen Einzelhandelsbranchen immer weniger; für den Buchhandelskunden zahlt sie sich jedenfalls kaum aus, da ja in dieser Nische gottlob noch die Preisbindung gilt.
Elefanten sind bekanntlich grau, und so lassen sich die Unterschiede zwischen Thalia, der Mayerschen und Hugendubel, was ihr äußeres Erscheinungsbild angeht, nur noch in Nuancen von Grautönen messen. Thalia ist ja selbst nur ein Segment des Mischkonzerns namens Douglas Holding, dessen Aktionäre kaum interessiert, ob sie ihre Dividenden den Parfüm-, Süßwaren-, Buch-, Mode- oder Schmuckumsätzen verdanken. Was steht unterm Strich?, das ist für sie die einzig relevante Frage. Der Slogan der Douglas Holding lautet »Handel mit Herz und Verstand«. Naja, zur Hälfte mag er stimmen. // MANUEL HESSLING